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Durst nach Leben empor. Leben, leben, endlich
leben wollte er. Den Torso seines Werkes zu Boden
schleudern und Mensch sein, nichts als schlichter
lebender Mensch.
Eine feige Furcht vor dem Gefängnis, das seiner
in Deutschland harrte, trieb ihn um. Nein, er kehrte
nicht wieder dorthin zurück, wo Gefängnis und un-
erfüllbare, ehern fordernde Pflichten seiner lauerten.
Er ging ins Ausland. Er zog mit der Gräfin nach
Italien, er gründete sich dort ein stilles Heim und
lebte dort endlich sein Leben.
Das Panier seines Geistes lag zerknittert am
Boden. Er schrieb an die treue Freundin, in der
vorsichtigen Sie-Form, die er in Briefen an sie stets
anwandte:
„Ich wünsche nichts sehnlicher, als die ganze Politik
loszuwerden, um mich in Wissenschaft, Freundschaft
und Natur zurückzuziehen. Ich bin der Politik müde
und satt. Zwar würde ich so leidenschaftlich wie je für
dieselbe eniflammen, wenn ernste Ereignisse da wären,
oder wenn ich die Macht hätte oder ein Mittel sähe, sie
zu erobern — ein solches Mittel, das sich für mich schickt;
denn ohme höchste Macht läßt sich nichts machen. Zum
Kinderspiel aber bin ich zu alt und zu groß. Wenn ich
das Präsidium los wäre, jetzt wäre der Moment, wo ich
entschlossen wäre, mit Ihnen nach Neapel zu ziehen.
(Aber, wie es los werden?!)
Denn die Ereignisse werden sich, fürchte ich, lang-
sam, langsam entwickeln, und meine glühende Seele hat
an diesen Kinderkrankheiten und chronischen Prozessen
keinen Spaß. Ach, könnte ich mich zurückziehen !“
Es regnete und regnete, die Aussicht vom Rigi
hinab in die Welt war grau verschleiert. Graue