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lang seine Rede für die heutige Versammlung mit
der peinlichen Beharrlichkeit memoriert, mit der
er sich auf jedes öffentliche Auftreten vorbereitete.
Und am Abend hatte er, obwohl er sich nicht wohl
fühlte und das alte Leiden wieder in den Gliedern
wühlte, der Gräfin und Emma Herwegh, die zum
Besuch bei ihrem Vater in Berlin weilte, die Rede
gehalten. Dann aber war er zusammengebrochen.
Er hatte in den letzten Wochen das Kapital seines
Geistesvermögens verschleudert und stand vor einem
Bankrott seines Hirns,
„Wie geht es heute!“ war Sophie Hatzfelds
erste angstbedachte Frage,
„Etwas besser. Es muß einfach gehen. Ich
muß heute abend in die Versammlung, und wenn es
das’ Leben kostete.“
„Wenn du krank bist —*“ versuchte sie einen
Einwand der Sorge.
„Ich muß hin. Sonst schreit ganz Berlin
morgen, ich hätte mich aus Furcht vor neuen Radau-
szenen gedrückt. Den Triumph sollen meine Feinde
nicht haben. Heute abend sollen sie toben, soviel
sie wollen. Ich werde wie ein Fels in der Brandung
stehen. Ich rede meine Rede heute zu Ende, Und
das sollst du sehen, Sophie, wenn ich mir Gehör er-
zwinge, dann reiße ich sie fort. Soll ich noch einmal
dir den Schluß vormemorieren? Der ist doch un-
widerstehlich !“
„Strengt es dich nicht zu sehr an!“ bangte sie,
„Du siehst sehr angegriffen aus.‘
„Nein.‘“ Er stützte den Arm auf eine Stuhl-
lehne, nahm unwillkürlich seine stolze Rednerpose
ein und begann:
„Und nun, ihr Arbeiter Berlins —*