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Und wie er sich über die Wirkung des allgemeinen
direkten Wahlrechtes täuschte! Jetzt vorsichtig
weiter! Er preßte die Hände zusammen, die vor
Erregung feucht waren, und zwang sich zur Ruhe.
„In Preußen,“ sprach Bismarck nachdenkend
fort, „sind neun Zehntel des Volkes dem Könige treu
und nur durch den künstlichen Mechanismus der
Wahl um den Ausdruck ihrer Meinung gebracht.‘
„Dann würde ich,“ lächelte Lassalle beherrscht,
während jeder Nerv an ihm zuckte, „an Eurer Ex-
zellenz Stelle die Konsequenzen dieser Einsicht
ziehen.‘
„Ja,“ hob Bismarck die Arme, „man kann nicht
jeder Einsicht folgen.“
„Jede Einsicht trägt die eingeborene Kraft des
Sieges in sich,‘ versicherte Lassalle.
„Gut,“ lächelte Bismarck, „dann wollen wir
darauf hoffen, daß dieser Sieg einmal eintritt.“ Und
Lassalles weitere Entgegnung abschneidend, sagte
er: „Ich möchte gern eins wissen, Herr Doktor, was
uns im Moment näher liegt. In Ihrer Solinger Rede
haben Sie über die bevorstehenden Wahlen zum
Landtag gesprochen. Eins ist mir nicht ganz klar
geworden. Warum befehlen Sie Ihrer Gefolgschaft
nicht, mit der konservativen Partei zu stimmen, dort
wo Sie keine Aussicht haben, Ihren eigenen Kandi-
daten durchzubringen? Diese Konsequenz vermisse
ich in Ihrer Rede. Unsere Interessen sind doch —
wie Sie selbst vorhin richtig bemerkten — gemein-
schaftliche, Sie kämpfen von Ihrem wie wir von
unserem Standpunkte gegen das Bestreben der Bour-
geoisie, die Herrschaft an sich zu reißen.‘
Da spürte Lassalle den Versucher. Und jetzt
lächelte er: „Es käme ja nur auf ein Bündnis an.