158
„Ich habe sie nie gehört,“ gestand er. „Doch
Ihre Stimme klingt mir ins Ohr wie alte Erinnerung.‘
Sie lächelte nur und sagte: „Soll ich noch singen?“
„Ich bitte Sie sehr darum, mein Fräulein.“
Sie begann ein neues Lied. Doch mitten im
Takte brach sie ab, schwang sich auf dem Dreh-
sessel zu ihm herum und sagte mit einem neckenden
Zucken um den großen klugen Mund: „Es ist kein
Wunder, daß ich wieder hier bin.“
„Es ist manches ein Wunder, was man ver-
nünftig erklären kann,‘ lächelte Lassalle. „Sie wer-
den sagen, Sie hatten etwas in Aachen vergessen
oder dergleichen. Kann das etwas von dem Wunder
erhellen, daß ich Ihnen nun plötzlich gegenüber-
sitze?‘
„Wir hatten die Absicht, über Brüssel nach
Paris zu fahren,‘ gab sie Bescheid. „Doch in Brüssel
fühlte Papa sich so elend, daß wir die Pariser Reise
aufgaben und beschlossen, nach Rußland zurückzu-
kehren. Hier wollen wir noch einen Tag rasten. Da
in unserem Hotel kein Platz war, kamen wir hierher
ins Hötel Grand Monarque. Voilh tout.“
„Und diese Verkettung bedauerlicher und be-
glückender Zufälle soll kein Wunder sein!‘ scherzte
Lassalle. „Ich habe damals gleich geahnt, daß wir
uns wiedersehen würden.“
„Ich habe es nicht geglaubt,“ schüttelte sie
die Haarkrone, die aufglänzte in ihrer schwarzblauen
metallischen Schönheit.
„War es nicht seltsam, wie wir uns dort auf
der Straße begegnet sind!“
„Ihr Gesicht hat mich interessiert,‘ wich sie
Kühl zurück.