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Doch sie verstand kein Wort von dem, was Lassalle
aus diesen tausend Papieren und Papierchen ent-
zıfferte. Sie hatte auch schon am Morgen alles allein
durchgearbeitet. Jetzt saß sie da, scheinbar in das
Manuskript vertieft, und sah nichts als die schönen
scharfgeschnittenen Züge des Mannes an ihrer Seite.
Und hörte das Rauschen seiner Stimme, hörte es wie
bestrickende Musik. Doch verstand sie kein Wort.
Ihre Gedanken hasteten anderen Fragen nach.
Warum sagte er nie wieder: „Wie schön Sie heute
sind, Ludmillal!‘““ Nie wieder hatte er es gesagt.
Das Schwarz des Trauerkleides stand ihr nicht.
Sie wußte es ja, und ihr Spiegel, ach, der wußte es
auch. Was half es, daß sie stundenlang in der Kälte
draußen in den Straßen umherlief, ehe er kam! Er
sah ja nicht mehr die Frische des Winters auf ihren
bleichen Wangen und in ihren grauen Augen. Er
gab ihr höflich liebenswürdig die Hand und ging
sofort an die Arbeit. Und wenn die alte Standuhr
im Salon nebenan acht schlug, stand er auf, gab
ihr wieder liebenswürdig höflich die Hand und ging.
Und sie rannte zum Fenster und sah mit brennenden
Augen seine elastische Gestalt um die Ecke in die
Leipziger Straße hinein verschwinden,
Dann grub sie die Nägel in das Fenstergesims
und dachte voll Harm, daß er nun zu der „guten
Gräfin‘ heimeilte. Wie sie diese Frau haßte! Diese
Frau, die soviel älter war als sie und soviel ver-
blühter. Und die, die, die lockte und reizte sein
Verlangen, diese Alte! Ahnte er denn nicht, wieviel
unverbrauchte Kraft und Sehnsucht in ihr auf den
Erwecker harrte! Ahnte er nichts von den Schätzen
ungehobener Weibesleidenschaft, die in ihrem Kör-
per nach dem Schatzgräber schrien! Und sie warf