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Siebenter Abschnitt. Preußen und das Reich. Lebensende. 1898-1902

Full text: Ernst Lieber als Parlamentarier / Spahn, Martin (Public Domain)

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sein sozialgesinnter, reichstagsfreundlicher Minister für Handel und 
Gewerbe, Freiherr von Berlepsch, durch einen andersdenkenden Mann 
ersetzt. Im Winter darauf überkam es den Landtag wie eine Sucht, 
durch Kritik am Reichstag der preußischen Regierung den Nacken 
zu steifen. Sie hatte damals das Versprechen des Kanzlers zum 
Bürgerlichen Gesetzbuch einzulösen, daß sie das politische Vereinsrecht 
ändern werde. Nun versuchte sie, gegen die Lockerung oder Preisgabe 
einiger hemmender Bestimmungen vom Landtage eine wesentliche Aus⸗ 
dehnung der Polizeigewalt einzutauschen. Lieber interpellierte am 
18. Mai 1897 im Reichstag. Er sah in der Absicht des Einzelstaats 
ein Attentat gegen das Reich. Er nannte die Forderung des Land— 
tags, daß Preußen im Bundesrat nicht überstimmt werden dürfe, eine 
Anmaßung. Den Landtag selbst behandelte er als Parlament, dessen 
Beratungen politische Beachtung nicht mehr zukäme. Im Juli griff 
er fast noch schneidender in die letzte Erörterung des Abgeordneten⸗ 
hauses über den Entwurf ein und beschwor sogar die Schatten des 
Kulturkampfs herauf. Die Nationalliberalen halfen ihm, die Vorlage 
zu Fall zu bringen. Darauf hielt sich Preußen wieder zurück, die 
Spannung jedoch bestand fort, und in den kleinen Staaten ward die 
Stimmung bedenklich. 
Lieber hat sich über die tiefer bedingte, ernste Natur dieser Vor⸗ 
kommnisse kaum noch aufgeklärt. Er hatte sich daran gewöhnt, mit 
den Ministern und Staatssekretären sich von Fall zu Fall zu benehmen, 
sowie ihnen durch parlamentarisches Entgegenkommen und glatte Er—⸗ 
ledigung ihrer Vorlagen die Tätigkeit zu erleichtern. So faßte er die 
Reibungen persönlich. Allmählich disponierte er sich sogar, alle Schuld 
an den Verstimmungen auf einen einzigen Mann zu werfen. 
Zu derselben Zeit, da er selber anfangs der Mer Jahre die 
Führerschaft in seiner Partei und im Reichstag gewann, war sein 
einstiger Genosse im Parlament, der hannöversche Nationalliberale 
Miquel in das preußische Ministerium aufgenommen worden. Vorerst 
konnte es als gute Fügung gelten, daß der Hannoveraner und der 
Nassauer gleichzeitig zu maßgebender Stellung gelangten. Zwar ge— 
hörten sie verschiedenen Parteien an, hatten aber in ihrem politischen 
Urteil viel Gemeinsames und waren einander freundlich gesinnt. Da 
sie beide aus Provinzen stammten, die erst 1866 erworben worden 
waren, jedoch durch ihre politische Tüchtigkeit von alters in Ansehen 
standen, konnten sie vor anderen dazu beitragen, den Gegensatz zwischen
	        
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