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Sechster Abschnitt. Der "Reichsregent"

Full text: Ernst Lieber als Parlamentarier / Spahn, Martin (Public Domain)

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—A 
Ordnung anpassen. Sie brauchen es nicht stlavisch zu tun, wie ihren 
Parlamenten auch nicht verwehrt werden soll, zu den sie mitbetreffenden 
Problemen der Reichspolitik vor deren Entscheidung Stellung zu nehmen. 
Aber richten müssen sie sich nach dem Reich. Sonst ist es unausbleiblich, 
daß allmählich kraft der überlegenen Macht der Entwickelung Reichs— 
recht Landesrecht bricht. Denn im Vergleich zu den Einzelstaaten ist 
das Reich der in lebhafterer Ausbildung begriffene Organismus. Das 
gibt auch seiner Verfassung ihr Gepräge. Sie fließt. Die Formen 
der Verfassungsänderung sind im Reich „unendlich viel weniger um— 
ständlich und schwierig als in den Einzelstaaten“; die Abgeordneten 
beschwören sie nicht. Unter der Reichsverfassung lebt noch „— kann 
man geradezu sagen — ein Naturrecht des Reiches“, das erst all⸗ 
mählich in ihr zum Ausdruck gelangt, aber durch die ihm eingeborene 
Kraft fortwährend zur Ausdehnung der Reichsbefugnisse führt. Das 
Interesse der Allgemeinheit oder sachlich höhere Interessen, als sie von 
den Einzelstaaten gepflegt werden, sind dabei der treibende Faktor, 
und das Organ, wodurch das Verfassungsrecht des Reichs sich stetig 
fortbildet, ist der Reichstag und seine Kommissionen. 
Innerhalb dieser Verhältnisse suchte Liebers Ehrgeiz seiner Partei 
ihre besondere Aufgabe zuzuweisen. Sie ist „von Hause aus“ die 
Partei, die den föderativen Charakter des Reichs zu wahren sich zur 
ersten Pflicht machte. Sie erkennt an, daß alle Teile und Glieder 
des Reichs wie alle Verbände innerhalb desselben „in ihren öffent⸗ 
lichen wie Privatrechtszuständen eine einheitliche Erscheinung darbieten 
sollten“. Dabei den richtigen Ausgleich, „das richtige Verhältnis zu 
finden zwischen notwendiger Einheitlichkeit auf der einen und schonender 
Erhaltung der Besonderheiten auf der anderen Seite“, will das Zen⸗ 
trum in besonnener und ruhiger Weise helfen. 
Bedingung für den Erfolg dieser Bemühung der Partei war 
einerseits, daß die 1893 noch vielfach beklommenen katholischen Wähler 
des Zentrums mit dem Gefühle der Hingabe an die nationalen Be— 
dürfnisse und mit dem Verständnisse dafür beseelt wurden, anderseits, 
daß gute Beziehungen zwischen dem Zentrum und Bundesrat, sowie 
unter den Reichstagsfraktionen gepflegt wurden. „Gott sei Dank“, 
sagte Lieber in der ersten Etatsrede, die er im folgenden Reichstag 
am 15. Dezember 1898 hielt, „ist auf beiden Seiten in weiten und 
maßgebenden Kreisen die Rückkehr des Vertrauens (zwischen dem katho— 
Spakn. Lieber.
	        
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