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stillen den entscheidenden Augenblick sorgfältig vor, unterrichtete all⸗
mählich die Freunde in der Kommission und kehrte schließlich, als der
Beschluß gefaßt werden mußte, gegenüber der gesamten Fraktion die
politische Notwendigkeit schroff hervor. Der Bundesrat erklärte ihm
dafür im Reichstag, daß er notwendig werdende Steuern vorzüglich
auf die stärkeren Schultern legen, mithin wo nötig einer Erhöhung der
direkten Steuern nicht widerstehen werde. So wurde am 28. März
auch dieses Werk durch eine große Mehrheit vollendet.
Der Reichstag stand vor Neuwahlen. Unter den größten An—
strengungen hatte man es erzwungen, daß neben der Beratung des
Etats und des Flottenplans auch über den lange ersehnten Entwurf
einer Militärstrafprozeßordnung, der am 30. November eingegangen
war, eine Einigung zwischen Heeresleitung und Reichstag erzielt wurde.
Am 4. Mai stimmte das Plenum der Kommissionsarbeit in dritter
Lesung zu und krönte diese Mühen ebenfalls mit Erfolg. In—
dessen, den Sozialdemokraten lag daran (und ein Teil der Konser—⸗
vativen hatte dasselbe Interesse), das Augenmerk der Wähler von der
geleisteten nationalen Arbeit ihrer Abgeordneten auf die wirtschafts⸗
politischen Kämpfe abzulenken, die dem nächsten Reichstag wegen Ab—
laufs der Handelsverträge aufs neue das Gepräge geben sollten.
Deshalb nahmen sie die letzte Sitzung der Session für einen Initiativ⸗
antrag in Anspruch, die Getreidezölle zeitweilig aufzuheben. Lieber
ließ sich das Konzept nicht stören. Er erklärte kurz, daß das Zentrum
den Tag nicht für geeignet für eine gründliche Debatte über die schwere
Frage halte, zu Wahlreden aber kein Bedürfnis in sich fühle. In
zwei Sätzen fügte er hinzu, daß seine Fraktion das Interesse der
Landwirtschaft fest im Auge behalte; selbst da, wo sie beim Abschluß
der letzten Handelsverträge der Herabsetzung der Zölle auf landwirt⸗
schaftliche Erzeugnisse zustimmte, habe sie nur Schlimmeres verhütet.
Der Reichstag, dessen Daseinsrecht sich dem Erlöschen näherte,
war der erste seit der von Lieber 1888 leidenschaftlich bekämpften Ver⸗
längerung der Legislaturperiode, der ohne Konflikt mit den Regierungen
seine fünf Jahre aushielt. Am Beginn seiner Tätigkeit stand der
russische Handelsvertrag als Friedensbürgschaft und in seinem Nutzen
für das deutsche Wirtschaftsleben. Auf der Höhe der Legislatur⸗
periode hatte man der Nation die Rechtseinheit gegeben. Nun, da
der Reichstag zu Ende ging, war der Flottengründungsplan beschlossen,
dem Welthandel Deutschlands ein unerhörter Antrieb gegeben, die