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Kaiser regelte die Organisation der Flotte noch willkürlich, das Maß
und die Richtung seiner Absichten war unbekannt, vielleicht ihm selber
noch ungewiß. Erst die 1897 angebahnte Wiederannäherung an
Rußland scheint sie endgültig bestimmt zu haben. Rußland hatte vor⸗
züglich seine ostasiatische Stellung zu schützen und zu entwickeln. Sein
Erfolg hing von der Macht ab, die es durch eigene oder Freundeskraft zur
See aufzubieten vermochte. Deutschlands Bundesgenossenschaft mußte
ihm gegenüber der französischen wenig gelten, solange Deutschland
keine größere Flotte baute. Die Flotte erwies sich als ein wesentliches
Element der auswärtigen Politik des Reichs. Anfangs August be—
suchte der Kaiser den Zaren in Peterhof, die Monarchen wechselten
dabei Trinksprüche auf ihre Flotten. Im Herbst wurde Kiautschou
besetzt. Am 2. Dezember nannte der Kaiser in einer Ansprache zu
Graudenz Nikolaus II. „einen lieben und getreuen Freund“ und er—
innerte an die einstige Waffengemeinschaft der Russen und Preußen.
Zur selben Zeit wurde dem Reichstag ein vollständiger Flotten⸗
gründungsplan vorgelegt.
Zu diesem Plane zustimmend Stellung zu nehmen, fiel in dem hohen
Hause nicht leicht. Denn dieses neigte nach seiner Vergangenheit wie unter
dem Einfluß der Presse nicht dazu, große Forderungen für militärische
Zwecke zu bewilligen. Anderseits konnte Sachliches gegen die neue
Vorlage, von der Deckungsfrage abgesehen, kaum eingewandt werden.
Sie hatte darin, daß sie sich als einheitlichen Flottenplan gab, ihren
besonders starken Punkt und nutzte ihn aus. Ihre Erörterung konnte
sich gar nicht um die größere oder geringere Zahl der zu gewährenden
Schiffe und deren Kosten, sondern mußte sich um die Streitkraft des
vorhandenen und des geforderten Materials und der vorgeschlagenen
Organisation drehen. Ein Krieg zwischen den Vereinigten Staaten
und Spanien zog herauf. Die deutschen Sympathien begleiteten die
Spanier in ihn. Aber er mußte ein Seekrieg werden, und das
spanische Schiffsmaterial war vernachlässigt. Wurde es zertrümmert,
so war mit einem Aufwallen der Volksmassen zu rechnen, wenn der
Reichstag die Mittel für den Bau einer deutschen Flotte verweigerte.
Gewerbe und Handel der Nation wuchsen außerordentlich. Das Be—
wußtsein verbreitete sich, daßß sie eines Schutzes zu Wasser bedürften.
Lehnte das Zentrum die Vorlage ab, wie seine meisten Mitglieder
und Blätter es verlangten, so brachte es den Flottenplan vielleicht fürs
erste zu Fall, und der Reichsstag wurde aufgelöst. Noch jedes Wehr—