46
Kaiser im Jahre 1893 dem Fürsten Bismarck wieder genähert hatte,
glaubte er darüber unterrichtet zu sein, daß auch dieser den Monarchen
wider das Zentrum einzunehmen suche. Mit dem Frühjahr 1895
nahte der achtzigste Geburtstag des Altreichskanzlers heran. Der
Reichstag mußte sich schlüssig werden, ob er ihn zu jenem Tage be—
glückwünschen wollte. Das Zentrum war zwar darüber einig,
daß die leidenschaftliche Haltung des Fürsten seinen Mitgliedern ver—
wehre, an dem Glückwunsch sich zu beteiligen; dennoch wurde in
seinen Reihen aus nationalen Rücksichten erwogen, ob sich die Fraktion
nicht unauffällig der Abstimmung enthalten könnte, um die Huldigung
für den greisen Kanzler durch die Kartellparteien beschließen zu lassen.
Diese jedoch erklärten schon mehrere Tage vor der entscheidenden Sitzung,
daß sie eine namentliche Abstimmung fordern würden. Da siegte im Zen—
trum die Überzeugung, daß es sich gegen den Glückwunsch aussprechen
müsse, und zugleich der Wille, die Gelegenheit zu benutzen, um die
Führung der Reichstagsgeschäfte fortan in die eigene Hand zu bringen.
Auf den Vorschlag des Präsidenten am 23. März antwortete das
Nein der Mehrheit des Hauses und darauf wieder der Rücktritt des
Herrn v. Levetzow. Bennigsen glaubte aus Rücksicht auf die Wähler
seiner Partei, auch den abwesenden zweiten Vizepräsidenten, ein Mit—
glied seiner Partei, in die Krisis verwickeln zu müssen. Das Zentrum
übernahm sowohl den Vorsitz wie das zweite Vizepräsidium. Seine
erst werdenden Beziehungen zu der Rechten und den Nationalliberalen
wurden empfindlich getrübt. Sein Einfluß auf die Tätigkeit des
Reichstags hob sich in dem erwarteten Maße.
Indessen die Macht der Dinge war stärker als das Widerstreben
der Menschen. Im nächsten Winter jährte sich am 18. Januar 1896
die Reichsgründung zum 25. Mal. Am Tage zuvor wurde dem
Reichstag der Entwurf eines Bürgerlichen Gesetzbuchs vorgelegt, das
Denkmal gleichsam, das sich die deutsche Gemeinarbeit des Viertel—
jahrhunderts gesetzt hatte. Es zog ein Hochgefühl vaterländischen
Bewußtseins durch alle ihm zugänglichen Parteien. Die wichtigeren
Angelegenheiten der Tagung wurden mit großer Mehrheit, einige
einstimmig zustande gebracht, wenn auch in der Debatte der alte Zwie—
spalt noch wetterleuchtete. Kurz bevor die Hauptberatung des Bürger—
lichen Gesetzbuchs in dem Hause begann, besprach das Haus eine
Anfrage des Zentrums an den Bundesrat, wie er es mit dem Jesuiten⸗
geseß zu halten gedenke. Die Konservativen und Nationalliberalen