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Vierter Abschnitt. Russischer Handelsvertrag. Reichsfinanreform. Winter 1893/94

Full text: Ernst Lieber als Parlamentarier / Spahn, Martin (Public Domain)

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der ihr im Reichstag den Vorwurf des Automatischen eintrug, ent 
sprang wohl hieraus. Sie war nicht organisch vom Standpunkt der 
Reichsverfassung aus gedacht. Sie gab sich keine Rechenschaft darüber, 
daß hinter den steten Schwankungen und der überraschen Steigerung 
des Reichsetats ein tieferer Fehler steckte, der die für ihre Zeit so gut 
erdachte Franckensteinsche Klausel ihrer Wirksamkeit beraubte: Das 
Verhältnis des Reiches selber zu den Einzelstaaten war seit 1879 ein 
vollkommen anderes geworden, das Reich von 1894 nicht mehr das 
von 1879 — die Verknüpfung des Reichs mit den Einzelstaaten hatte 
sich dennoch nicht gelöst. 
Auch taktisch führte Miquel seine Vorlage ungeschickter ein, als 
die Parlamente es von ihm gewohnt waren. Unmittelbar vor der 
ersten Lesung seines Entwurfs im Reichstag brachte er ihn im Land— 
tag zur Erörterung und machte für ihn die Konservativen, das Zen⸗ 
trum aber gegen sich mobil. Für dieses stand die von seinen Führern 
herrührende Franckensteinsche Klausel, vor allem ihr föderativer Wert 
in Frage. Lieber war Caprivi in jenen Wochen wegen des russischen 
Handelsvertrags unentbehrlich. Er persönlich fühlte sich in Finanz— 
fragen außerordentlich beschlagen und als selbständiger Budgetpolitiker. 
Hatte er bisher nur am preußischen Etat mitgearbeitet, so siedelte er 
jetzt in die Haushaltskommission des Reichstags über, um ihr fortan 
den Hauptteil seiner Kraft zu widmen. Im Abgeordnetenhause 
antwortete er dem Minister sofort, und am 29. Januar sprach 
er im Reichstag über die Reform. Aber beide Male verbreitete er 
sich nur lehrreich über den Sinn der Klausel, erkannte die Not— 
wendigkeit an, daß das Finanzverhältnis von Reich und Einzel— 
staaten verbessert werde, und verriet, daß er sich mit einer eigenen 
Reformidee trage, die an erster Stelle die Tilgung der Reichsschuld 
erstrebe. Alles das trug er akademisch unter mancher Höflichkeit für 
Miquel vor. Ernstlich ging er an die Finanzreform nicht heran, sondern 
bezeichnete den Zeitpunkt und ihre Verquickung mit einer Deckungs⸗ 
vorlage als ungeeignet. Der Abgeordnete Richter scherzte darüber: 
„Herr Lieber hat in seiner Rede dem Herrn Finanzminister mehrmals 
freundlich die Hand gedrückt. Er hat das in der feierlichen und zere— 
moniösen Weise getan, die ihm in seinen Reden zu eigen ist. Aber 
ich habe bei allen diesen Händedrücken kein Geldstück in der Hand 
des Herrn Lieber gesehen, und das ist es doch eigentlich, worauf es 
dem Herrn Finanzminister ganz allein ankommt.“ Lieber blieb dabei,
	        
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