38
wirken zu lassen. Die frische Erinnerung an die inneren Schwierig-
keiten des letzten Frühjahrs tat das übrige. Eine Teilung der Fraktion
bei der Abstimmung über die Verträge ließ sich trotzdem nicht vermeiden;
aber es lag wenig daran, wenn die Teilung nicht zum Bruche wurde
und nicht den Fall der Verträge zur Folge hatte.
Liebers Taktik bewährte sich. Gegen die Jahreswende wurden
die Verträge mit Rumänien und Spanien angenommen; und Ende
Februar, sofort bei der ersten Lesung des russischen Vertrags war
der Zentrumsführer in der Lage zu erklären, daß seine Freunde „das
Bedürfnis“ hätten und daß „es ihnen geglückt“ sei, trotz des Zwie—
spalts, der in ihrer Meinung über die Handelspolitik des Reichs
bestehe, „unter sich nicht in Zwietracht zu geraten“. Damit war das
Schicksal der großen Vorlage und der Anteil des Zentrums daran
entschieden. Lieber verwertete den Erfolg nach allen Seiten hin. Für
die Zustimmung zum Vertrage war ihm vom Kanzler versprochen,
daß die Staffeltarife, welche seit 1891 auf den preußischen Bahnen
eingeführt waren, beseitigt werden würden; die westdeutsche Landwirt
schaft konnte darin einen Ausgleich für die von ihr gefürchteten Schäden
des Vertrags finden. Aber vorweg und darüber hinaus entwickelte
er in der ersten Beratung ein ganzes Programm innerstaatlicher Für—
sorge für die Landwirtschaft. Miquel nahm es alsbald im Namen
der preußischen Regierung entgegen, weil sie „davon durchdrungen sei,
daß es die Aufgabe der nächsten Jahrzehnte“ wäre, „mit voller Für—
sorge und Aufmerksamkeit die Lage der Landwirtschaft nicht bloß zu
beobachten, sondern auch wirklich für jede mögliche Abhilfe einzutreten“.
Damit der brennendsten Sorge ledig, daß die Partei durch die agrarische
Erhebung und die bayrisch-preußischen Meinungsverschiedenheiten ge—
fährdet werde, widmete Lieber der Zukunft im Reiche programmatische
AÄußerungen. Er streckte den Nationalliberalen und nächstdem der
Rechten des Reichstags die Hand zur Zusammenarbeit hin. Am Tage
vorher hatte Bennigsen im Reichstag über den sozialen Frieden ge—
sprochen und seine Worte als sein politisches Testament bezeichnet.
Auch er hoffe, sagte der Zentrumsführer, daß die wirtschaftspolitischen
Mißstimmungen sich nicht verewigen würden. „Wir wissen, wie not⸗
wendig es ist, — wir brauchen ja nur nach der äußersten Linken zu
sehen —, daß wir in den übrigen Angelegenheiten jetzt mehr noch
als früher Hand in Hand gehen.“ Ein Bravo von der Rechten und
aus der Mitte antwortete dieser Erklärung, die er am 14. und 16. März