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preußische Regierung und die preußische Rechte suchen oder in der
Reichspolitik dem preußischen Einfluß wieder entgegentreten sollte. Die
Spannung war allgemach so stark geworden, daß schon eine nahe
Zeit die Entscheidung bringen mußte.
Zwei äußere Ereignisse gaben den Anstoß, daß die Lösung der
Krisis sofort versucht wurde.
Wiederholt seit 1880, je mehr die Fraktion als politische Partei
in den Parlamenten mitarbeitete, hatte die Kurie auf Betreiben der
preußischen Regierung auf ihre Entschlüsse Einfluß zu gewinnen ge—
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dem beginnenden Frühjahr wiederholte sich das Bemühen Roms. Die
Gruppe um Huene ließ seine Gründe auf sich einwirken. Bei der
prinzipiellen Bedeutung aber, die dem Verhältnis der Fraktion als
politischer Partei zu Rom zukam, ward nach der Meinung der Mehr—⸗
heit unter ihren hervorragenderen Mitgliedern von jenem Moment
ab eine Itio in partes bei der Abstimmung über die Heeresvorlage
unmöglich; der Bestand der Fraktion schien in Frage gestellt, wenn
man zurückwich, ohne daß zwingende nationale Gründe vorlagen.
Lieber persönlich beschäftigte die Schwierigkeit der Lage so, daß er sie
sogar öffentlich besprach und in einer Volksversammlung zu Aschaffen—
burg die Notwendigkeit der Erhaltung seiner Partei und die der Er—
haltung der nationalen Wehrkraft in Vergleich zueinander stellte; er
liebte die Bildung solcher Antithesen, die in ihrer Ausschließlichkeit
nicht immer zutrafen. Freiherr von Huene jedoch beharrte nicht weniger
auf seiner Meinung, und es zeigte sich, daß er über eine Vermittelung
unterhandelte, die der Kanzler annahm. Er brachte einen Antrag ein,
der sich auf den Boden des Organisationsplanes stellte und nur inner⸗
halb seines Rahmens Abstriche machte.
Am Vorabend der zweiten Beratung des Entwurfs trieb die
preußische Regierung die Erregung über die Lage vollends auf die
Spitze. Sie war im Sommer 1891 mit dem Zentrum übereingekommen,
daß sie das preußische Klassenwahlsystem einer Änderung unterwerfen
werde, damit die neuen Steuergesetze dessen plutokratische Wirkung
nicht erhöhten. Sie stimmte jetzt einer Einlösung jenes Versprechens
durch die konservative Mehrheit des Landtags zu, die dem Zentrum
das erwartete Ergebnis nicht gewährte.
Die Debatte im Plenum des Reichstags am 5. Mai wurde aus
der Lage heraus ebensosehr eine Debatte über das Verhältnis des