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Dritter Abschnitt. Übernahme der Parteiführung. Schulgesetz und Wehrvorlage. 1888-1893

Full text: Ernst Lieber als Parlamentarier / Spahn, Martin (Public Domain)

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Etats begleitete. Nach dem Sinne der Konservativen dürfe das Ver⸗ 
hältnis nicht umgestaltet werden. Die Einzelstaaten dürften so wenig 
von den Beiträgen zum Reichsbudget befreit werden, wie der Reichs— 
tag, den Finanzministern der Bundesstaaten zuliebe, die indirekten 
Steuern des Reichs zu erhöhen vermöge. Schon der Wettbewerb 
der Kommunen hindere ihn daran, denen die Miquelsche Steuerreform 
die „so ergiebigen“ Ertragssteuern zugeschoben habe, auf die Miquel 
aber offenbar auch gewisse Staatslasten abwälzen wolle. Der Finanz— 
minister, persönlich von Lieber mit Anerkennung überschüttet, antwortete 
sogleich, ging jedoch nicht aus sich heraus. Die Verhandlungen der 
beiden Männer unter vier Augen führten ebenfalls nicht weiter. 
Varteitaktische Erwägungen gaben also schließlich den Ausschlag. 
Das Zentrum befand sich seit Jahren im Zustand einer latenten 
inneren Krisis. Der kirchenpolitische Kampf, der die Süd- und Nord⸗ 
deutschen einst zusammenführte, war, von Überbleibseln abgesehen, 
vorüber. Vor seinem Ausbruche hatten die katholischen Bayern in 
ihrer Patriotenpartei eine eigene Organisation besessen, doch auf anderer 
Grundlage als das Zentrum; sie überlegten, ob sie sich wieder auf 
eigene Füße stellen sollten. Diese Überlegung war um so bewußter 
geworden, je mehr die Gesamtpartei den Schwerpunkt ihrer politischen 
Tätigkeit im preußischen Landtag suchte. Angelegenheiten des Wirt— 
schaftslebens fingen im ganzen Reiche an, sich in die erste Reihe der 
öffentlichen Probleme zu drängen. Seit der Annahme des österreichischen 
Handelsvertrages war eine agrarische Bewegung in Fluß gekommen. 
Sie mußte ihre Gewalt bewähren, wenn im folgenden Winter, wie 
man rechnete, auch ein Handelsvertrag mit Rußland an den Reichstag 
gelangte. Wieder waren es die Bayern, die dem Ansturm der agra— 
rischen Bewegung am meisten ausgesetzt, durch ihn von der Gesamt 
partei abgesprengt zu werden drohten. Anderseits erschütterte die wirt⸗ 
schaftliche Not dieser Jahre die Widerstandskraft der katholischen Arbeiter 
gegen die Agitation der Sozialdemokratie, ohne daß die eigene sozial— 
politische Organisation der Partei genügend ausgebaut war, um sie 
zu schützen. Durchweg handelte es sich um Folgeerscheinungen, welche 
die Umwandlung des Zentrums aus einer vorwiegend kirchenpolitisch 
in Anspruch genommenen Partei in eine soziale und Reichspartei be— 
gleiteten. Man mußte sie ebenso erwägen wie den alten Gegensatz 
in der Fraktion, der sich in dem verschiedenen Urteil Huenes und 
Liebers über die Heeresvorlage auftat: ob man den Anschluß an die
	        
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