32
den Konflikt so wenig wie sein Widerpart. Er wiederholte nicht erst
seine Forderung von 1880, daß die zweijährige Dienstzeit ohne Gegen—
leisuung des Reichstags zu gewähren sei. Aber er stellte die Er—⸗
wägung voran, daß bei den inneren Verhältnissen der Partei, bei der
Ungunst der wirtschaftlichen Zustände und nach den Vorgängen des
letzten Winters im Landtag zur Stunde die höchste Vorsicht geboten
sei. So weit als möglich müsse man im Rahmen der Windthorst⸗
schen Heerespolitik, insbesondere der Resolutionen Windthorsts zum
Militärgesetz von 1890 bleiben. Noch bei der ersten Lesung müsse
man sich deshalb vorzüglich gegen die mit der Neuorganisation beab—
sichtigte volle Durchführung der allgemeinen Wehrpflicht erklären. Das
war der Sinn, das der politische Zweck seiner Rede, die er am 14. De—
zember, am Tage nach Huenes Rede hielt.
Die Kommissionsverhandlung über den Entwurf zog sich monate—
lang hin. Lieber überzeugte sich nicht, daß er als Laie gezwungen
sei, die Neuorganisation als dringlich und die Errichtung vierter Ba—
taillone in halber Stärke bei jedem Regiment als organisatorisch wert⸗
voll anzuerkennen. Dennoch hat das Schicksal der Vorlage nicht hiervon
abgehangen.
Noch im Februar verhütete Lieber durch entschlossenes Dazwischen⸗
treten, daß der Kanzler in der Handelspolitik durch die Konservativen
überrumpelt wurde. Im März wandte er sich mit auffallender Schärfe
gegen Bebel, der das Heer wegen der Soldatenmißhandlungen an—
geschuldigt hatte. Im stillen unterhandelte er fortwährend, um eine
Krisis zu vermeiden. Ließ sich der Bundesrat auf eine andere Deckung
der Kosten und ihre Regelung vor dem Beschluß über das Wehrgesetz
ein, so hoffte Lieber anscheinend, seine Fraktion insgesamt für ein
Entgegenkommen zu gewinnen. Es mag wohl sein, daß er durch
eingewurzelte persönliche Meinungen die Deckungsangelegenheit über—
schätzte; er hatte sich 18790 wie 1887 gegen die indirekten Steuern
ausgesprochen, die jetzt erhöht werden sollten. Aber unleugbar dachte
darin eine immer sich mehrende Zahl seiner Fraktionsgenossen wie
er. Er wollte ihnen den Auszug auf dies Terrain, abgesehen
von einer Drohung mit direkten Reichssteuern am 14. Dezember, im
Januar vorbereiten, als er sich bei der Eröffnung des Landtages zum
ersten Male die Fraktionsrede zum preußischen Etat übertragen ließ.
Dort griff er Außerungen über das finanzielle Verhältnis des Reichs
zu den Einzelstaaten auf, mit denen Miquel seine Erläuterung des