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Dritter Abschnitt. Übernahme der Parteiführung. Schulgesetz und Wehrvorlage. 1888-1893

Full text: Ernst Lieber als Parlamentarier / Spahn, Martin (Public Domain)

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zuziehen. Ein Wechsel im Ministerpräsidium und Unterrichtsministerium 
folgte. 
Das Abgeordnetenhaus erörterte den Vorfall erst nach der Rück 
kehr aus den Osterferien. Bei dieser Gelegenheit war es, daß Lieber 
aus der seit 1888 beobachteten Zurückhaltung hervortrat, obwohl 
Herr von Huene auch diesmal als erster Fraktionsredner in die De— 
batte eingriff. Liebers Rede behandelte nur die großen politischen 
Gesichtspunkte der Lage und war in jedem ihrer Teile auf politische 
Wirkung berechnet; eine Entgleisung begegnete ihm nicht mehr. Zuerst 
rollte er den Gegensatz zwischen Liberalen und Zentrum in Hinsicht 
auf Religion und Schule soweit als möglich auf, wobei er die zentrale 
Stellung des Schulproblems in der sich vorbereitenden zweiten Periode 
der Kulturkampfsbewegung hervorhob. Eugen Richter habe vorgeschlagen, 
den Unterrichtsparagraphen der Verfassung als nicht mehr zeitgemäß 
zu streichen. „Wenn nach der Streichung der drei während des Kultur— 
kampfs gefallenen Verfassungsartikel noch ein Verfassungsartikel für 
uns eine hervorragende Bedeutung vor allen übrigen hat, so sind es 
gerade die Verfassungsbestimmungen über die Regelung des AUnterrichts- 
wesens. Und, meine Herren, wir wissen so gut wie Sie, daß der 
Kampf, der auf diesem Boden geführt werden muß, und für den 
gerade dieser Verfassungsartikel für uns das letzte Bollwerk auf dem 
Rechtsboden, den wir einnehmen, bildet, daß dieser Kampf ein sehr 
viel schwierigerer, heißerer Kulturkampf sein wird als der, der eben 
im Abblühen begriffen ist.“ Sogleich aber führte er aus, daß die 
strategische Lage fortan leicht eine andere sein könnte als früher. Alle 
positiven Christen würden sich vereinigen, um die Mittelparteien auf— 
zureiben und zum einheitlichen Angriff auf die Sozialdemokratie über⸗ 
zugehen. Hier wollte er die durch die Preisgabe des Entwurfs 
gefährlich gewordene Stellung seiner Fraktion parlamentarisch retten 
und in der Erregung über den gemeinsamen Mißerfolg das Eisen 
der Freundschaft zwischen Zentrum und Konservativen schmieden. Er 
vermied darum auch jede Verletzung des Ministeriums, das den Kon⸗— 
servativen nach wie vor nahe stand. Darauf, daß bei dem Kampf 
um die Schule auch der Gegensatz von Staat und Kirche in Betracht 
kam, deutete er nicht ausdrücklich hin. Miquel drohte er nur, daß 
das Vertrauen auf ihn im Zentrum schwinde. Den neuen Minister⸗ 
präsidenten, Grafen Eulenburg, begrüßte er als persönlich wohlver— 
dienten, konservativen Mann und regte ihn zu der Erklärung an, daß 
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