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seiner Anhänger zu einer sozialen und zugleich föderativ gesinnten
Partei fortbilden werde.
Die Einrichtung und Verbreitung des Volksvereins war noch in
den Anfängen, als am 14. März 1891 Windthorst hinweggerafft
wurde. Seine Fraktion blieb in einer heiklen politischen Lage zurück.
Wohl war schon ein ganzes Jahr seit Bismarcks Untergang als Kanzler
verflossen, aber die Wasser brauchten lange, um sich zu klären. Die
von dem Kanzler Bekämpften hatten zwar zunächst mit Grund auf—
geatmet. Doch mochten sie sich im Gefühl der Befreiung ein zu günstiges
Urteil über die Umstände gebildet haben. „Ich freue mich“, hat Lieber
einmal erklärt, „daß die Zeit vorüber ist, wo alles nach Einem Manne
sah und beinahe alles auch nach Einem Willen ging.“ Der schwierigste
Abschnitt der Übergangszeit, die nun reichlich ein Jahrzehnt währte, —
ihr Ausgang lag noch vor der deutschen Politik. Der feste Punkt
in Deutschland schien Preußen und sein Landtag, dessen Ansehen
Bismarck fünf Jahre lang auf jede Weise wieder gestärkt hatte. Der
Reichstag stand an Einfluß auf die allgemeine innere Politik gegen
das Berliner Nachbarparlament zurück. In Preußen aber bedeutete
nach wie vor das Zentrum wenig.
Wenn auch mit gewohnter Vorsicht, hatte Windthorst selber noch
Caprivi, dem Nachfolger des Kanzlers, seine erste Heeresvorlage zur
Annahme im Reichstag gebracht, um ihm den Weg nicht zu verrammeln.
Er war schon tot, als Caprivi im August 1891 den österreichischen
und italienischen Handelsvertrag abschloß. Seine Freunde begrüßten
diese Tat als europäisches Friedenswerk und führten mit einer gewissen
Eile ihre Bestätigung durch das Parlament herbei. „Es würde eine
schöne und große Aufgabe des neuen Kurses sein, eine Aufgabe, deren
Lösung ihn weit über alle früheren Triumphe höbe, wenn er von
dem Bismarckischen Gewaltboden auf einen neuen europäischen Rechts—
boden überzutreten und ganz Europa überzuführen Weisheit und Kraft
besäße.“ So hat Lieber seine innersten Hoffnungen auf Caprivi ein
Jahr später formuliert. Auch die anderen neuen Männer des Kaisers,
Berlepsch, Miquel und Zedlitz-Trützschler erweckten ihm Vertrauen.
Die meisten sozialreformerischen Wünsche der Partei wurden seit den
Februarerlassen 1890 und 1891 ohne Schwierigkeit durch die Gesetz—
gebung erledigt. In Preußen nahm Miquel 1890 die Steuerreform
vor, die trotz ihrer Notwendigkeit bisher bei jedem Anlauf gescheitert
war. Er brachte dazu seine ungewöhnliche parlamentarische Erfahrung