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an zum Hauptorgan des Reichs gemacht worden. Es brauchte also
nicht aufzufallen, wenn er sich von dem sozialen Geiste, der der Lebens⸗
saft des Reichsorganismus geworden war, immer allseitiger erfüllen
ließ und sich im Gefühl der großartigen Wachstumsvorgänge im Innern
des Reichs einhellig der Sozialreform annahm. Die sozialpolitischen
Anschauungen aller Reichstagsparteien bildeten sich damals ungewöhn⸗
lich schnell weiter. 1884 war Freiherr von Stumm für mehrere Jahre
aus dem Reichstage ausgeschieden. Selbst er konnte trotz seiner frühen
und lebhaften Neigung zur Sozialpolitik, als er 1887 zurückkehrte, von
Lieber mit einiger Wahrheit als in seiner Sozialpolitik rückständig ge—
worden, „gewissermaßen als ein Gespenst vom Jahre 1878“ bezeichnet
werden. Das Bewußtsein dieser fortschrittlichen Entwickelung gab den
Reichstagsmitgliedern allgemach unter sich ein Solidaritäts- und ein
gewisses Überlegenheitsgefühl über die anderen deutschen Parlamente.
Der Abgeordnete aber, der die sozialen Zentrumsanträge nach ihrer
politischen Seite hin verfocht, empfand jenes Gefühl am stärksten. Er
verwuchs in ihm geradezu aus dem engeren Gebinde seiner Fraktion
heraus mit dem „sozialen“ Reichstag. Das überzeugte „Wir, der
Reichstag“ tönte zum ersten Male im Dezember 1889 aus seinem
Munde, dem Freiherrn von Stumm entgegen.
Den Schwerpunkt seiner Wirksamkeit verlegte Lieber in diesen
Jahren in die außerparlamentarische Arbeit. Die in Funktion befind⸗
liche Verfassung der Zentrumspartei im Lande war den Richtlinien
des Parteiprogramms und der inneren Entwickelung des Reichs unvoll⸗
kommen gefolgt. Sie wurde von der Kulturkampfsidee beherrscht; die
soziale und föderative Idee sickerte langsam in sie ein. Da begriff
Lieber, daß sich 1890 die Gelegenheit bot, eine neue, in die veränderten
Bedingungen hineingeborene Organisation der alten zur Seite zu
pflanzen, ohne dieser wehe zu tun. Er half dazu, in München⸗
Gladbach den „Volksverein für das katholische Deutschland“ zu gründen.
Der neue Verein sollte sich der Pflege des sozialen Verständnisses
und der sozialen Tätigkeit innerhalb der Wählerscharen des Zentrums
widmen. Frei von partikularistischen Banden wurde er als Verein
für das Reich geschaffen. Lieber machte sich unter außerordentlichen
Anstrengungen zu seinem Hauptredner und Hauptwerber, ohne daß
er die geringste Entschädigung dafür nahm. Es lohnte ihn die Zu—
versicht, daß sich das Zentrum nach einigen Jahren in seiner ge—
samten Organisation von der Spitze herab bis tief in die Massen