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Zweiter Abschnitt. Entwickelung des Reichs. Sozialpolitische Tätigkeit. Kampf gegen das alte Preußen. 1878-1888

Full text: Ernst Lieber als Parlamentarier / Spahn, Martin (Public Domain)

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das System der sogenannten christlichen Patronage „überwuchern“ 
könne. In solchem Maße waren in die katholisch-soziale Schule jen— 
seits des Rheins, deren Ansichten er wiederholte, ursprünglich liberale 
Doktrinen und ihre Furcht vor dem Staate durchgesickert. Sie saßen 
fest in ihr. Lieber fuhr noch in späteren Jahren, als er als Poli— 
tiker sogar die absolute Verpflichtung der Gemeinden, die aushilfsweise 
des Staates zur Vorkehrung gegen Arbeitslosigkeit behauptete, mit 
dem Schrecken eines Liberalen von 1848 auf, sobald er in seiner Nähe 
Äußerungen zu hören meinte, die ihn an die Nationalwerkstätten von 
Paris erinnerten! 
Bald führte ihn indessen die Mitarbeit in den sozialpolitischen 
Kommissionen des Reichstages in die Eigenart der deutschen Verhält 
nisse und zugleich in die Praxis des sozialen Lebens ein. Sie diente 
dazu, ihn für die staatliche Sozialpolitik, insbesondere für den staat— 
lichen Arbeiterschutz tiefer zu interessieren und wirklich zu erwärmen, 
wie sie ihn denn auch, der theoretisch Freihändler war, für die Schutz— 
zollbewegung des Jahres 1878 zugänglich machte. 
Als das Zentrum 1877 zum ersten Male einen Antrag auf Arbeiter⸗ 
schutz, den sogenannten Antrag Galen, eingebracht hatte, hatte sich der 
Bundesrat abweisend, der Reichstag sich mehr aus Mangel an Klärung 
der sozialpolitischen Tendenzen denn aus schlechtem Willen spröde ver⸗ 
halten. Doch fand man hier schon 1878 die einflußreiche, obwohl 
nur mittelbare Unterstützung des Freiherrn von Stumm und die sach—⸗ 
kundigen Winke des Vortragenden Rates Lohmann. Man rückte die 
Sonntagsruhe, die Frauen- und Kinderarbeit in den Vordergrund 
der Beratungen; der Maximalarbeitstag gesellte sich als die nächstdem 
wichtigste Forderung dazu. Allmählich ward, indem die Anträge im 
Reichstag wiederholt zur Diskussion gebracht wurden, der Boden dort 
für ihre Annahme bereitet. Unterdessen griff der Kanzler 1880 die 
Sozialpolitik auf. Sie sollte der zweite große Schritt auf jenem Wege 
der Reform werden, den er mit der Tarifvorlage im Jahr zuvor er— 
schlossen hatte und der in Wahrheit der Weg der Reichsentwickelung 
selber war. Dabei richtete sich Bismarck aber nicht nach den Anträgen 
des Zentrums, sondern ließ sich durch Anträge Stumms auf staatliche 
Organisation der Arbeiterversicherung inspirieren. Der Staatsmann 
in ihm mit der altpreußischen Tradition berechnete die Möglichkeit, die 
Millionen Arbeiter, die der sozialistischen Agitation ausgesetzt waren 
und auf denen die Wehr- und Steuerkraft der Nation beruhte, an
	        
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