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er nicht nur in Kommissionen, sondern auch im Plenum wertvolle
Arbeit.
Sein gereiztes Wesen in jenen Jahren ward durch die sich häufenden
Anfälle eines Magenleidens veranlaßt, welches ihn seit seiner Studien—
zeit peinigte und an seiner Nervenkraft nagte. Doch hatte es auch
einen tieferen Grund: Der Kulturkampf verlor damals von Session
zu Session an prinzipieller Bedeutung und damit an Schwung, wurde
aber in den Debatten mit ungeschwächtem Ungestüm immer neu auf—
genommen. Anderseits ging Lieber noch in keiner anderen, ihn er—
hebenden Bewegung auf. Vielleicht verwendete Windthorst ihn auch
ungenügend. Darüber rückte er jedoch, und das ist bedeutsam, in
Fragen von wesentlich politischer und nicht bloß praktischer Bedeutung
näher an die Linke des Reichstags, den sogenannten Freisinn und
die Demokraten heran, als es ihm, dem Nassauer, natürlich war.
Persönliche Stiche gegen die Konservativen machten schon 1878 darauf
aufmerksam. Greifbar trat es in die Erscheinung, als er zuerst 1879
im Gegensatz zu seiner Fraktion mit der Linken wider die Finanzzölle
stimmte und sich im April darauf an der zweiten Beratung der Wehr⸗
gesetzvorlage im Reichstag beteiligte. Er bekämpfte in seiner Rede
zunächst wie alle seine Freunde deren entscheidende Forderungen, vor—
züglich die Erhöhung der Friedenspräsenzstärke und ihre Bewilligung
auf sieben Jahre. Dann verlangte er die zweijährige Dienstzeit als
alte „Forderung des deutschen Volkes“, und zwar müsse sie ohne
Gegenleistung des Reichstages gewährt werden, der ihretwegen weder
die Friedenspräsenzstärke zu vermehren noch auch nur ihre Erhaltung
auf der bisherigen Höhe zu verbürgen brauche. Endlich überließ er
sich pessimistischer Schwarzseherei. Peter Reichensperger hatte ihm dafür
das Schlagwort an die Hand gegeben, daß wir zum Schlusse nur
noch „eine Armee von fechtenden Bettlern“ unser nennen würden;
ihm nach malte er aus, „wie drückend die unmittelbaren wie die mittel⸗
baren Steuern, wie geradezu erdrückend namentlich die stets und reich—
lich wachsenden Kommunallasten, wie tief gesunken jeder wirtschaftliche
Erwerb, wie völlig aufgezehrt alle wirtschaftlichen Reserven, wie ent
setzlichh das Massenelend, wie horrend die Defizits, wie trüb die Gegen—
wart Deutschlands in dieser Beziehung ist. . . . Es ist ein offenes Ge—
heimnis, daß gleichzeitig das Verdienst, die Einnahmen in den letzten
Jahren in einer Weise gesunken sind, daß kaum mehr erschwungen
werden kann, was zu des Lebens Notdurft erforderlich, geschweige