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vermittelst rein politischer, die Verfassung oder Verwaltung betreffender
Vorgänge, sondern in Verbindung mit der wirtschaftlichen und mehr
noch mit der sozialen Bewegung. Die 8Oer Jahre waren daher
parlamentarisch fortwährenden, erheblichen Schwankungen unterworfen,
und namentlich die Mittelparteien orientierten sich nur mühsam oder
gar nicht. Für das Zentrum bedurfte es des taktischen Geschickes
Windthorsts, um unzersplittert durch diese Zeit zu kommen. Trotz
ihm machten sich gewisse Gegensätze, die in der Fraktion bestanden,
schärfer geltend als bisher und verschafften sich auch nach außen ge—
legentlich Luft.
Lieber gehörte zu denen, die sich in den neuen, werdenden Ver—
hältnissen besonders schwer zurechtfanden. Das erhellt vielleicht am
besten daraus, daß er gleich zu Anfang bei der entschlossensten und
erfolgreichsten Aktion der Windthorstschen Politik dem Meister die
Heeresfolge weigerte. Als im Jahre 1879 die Nationalliberalen ver⸗
sagten, bildete das Zentrum dem Kanzler in entscheidender Stunde
die Mehrheit für seine Tarifvorlage. Lieber enthielt sich bei der Schluß—
abstimmung der Stimmabgabe, weil er die im Gesetze enthaltenen
Finanzzölle nicht bewilligen wollte. Und doch bezeugte er wenig später
selbst: seine Fraktion habe „damals geglaubt, im Großen und Ganzen
eines weitgehenden Reformwerkes den ersten Schritt mittun zu müssen“.
Mit dem folgenden Jahre 1880 meldete er sich im Reichs- und Land—
tag wieder häufig zum Wort. Im Juni gelang ihm, als die Ver—
suche zur Herstellung des kirchlichen Friedens anfingen, eine jener
großzügigen politischen Reden, durch die er späterhin glänzte. Aber
er hielt sie noch nicht auf gleicher Höhe, schweifte zu Nebensächlichem
ab, mischte Persönliches ein und schwächte damit ihren Eindruck. Mit
einem Teil der rheinischen Fraktionsgenossen schien er schon in diesem,
mehr noch in den nächsten Jahren nicht übel Lust zu haben, durch
die wohlüberlegte Taktik Bismarcks sich reizen zu lassen und (worin
er auch wohl sonst eine wahre Leidenschaft setzte) bei der Besprechung
von Einzelfällen oder Petitionen mit dem Stein übers Ziel zu werfen.
Darob sammelte sich viel Haß über ihm bei Ministern wie Kollegen,
im Parlament wie draußen, und dieser Haß war um so ingrimmiger,
als Lieber dank der ihm eigenen dialektischen Gewandtheit formell
innerhalb des parlamentarisch Zulässigen zu bleiben wußte. Ebenso
oft beteiligte er sich aber an der Beratung gesetzgeberischer Probleme,
und namentlich für solche des Steuer- und Verwaltungsrechtes lieferte