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Erster Abschnitt. Eintritt ins öffentliche und parlamentarische Leben. 1838-1878

Full text: Ernst Lieber als Parlamentarier / Spahn, Martin (Public Domain)

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Anspruch auf den Schutz ihrer religiösen und kirchlichen Gebräuche, 
ihrer Kirchenverfassung und ihrer Glaubenssätze. Fünf Jahre später, 
1880 kam er bei der ersten Verhandlung im Landtag, die auf eine 
kirchenpolitische Waffenruhe abzielte, auf das für Preußen entscheidend 
wichtige Problem zurück. „Als wären wir Katholiken gleich reinen 
Findelkindern rechtlos an Preußen gekommen“, so wurde nach seinem 
Dafürhalten von der Mehrheit die Kirchenpolitik des Staates geordnet. 
„Das ist in Wahrheit der Grundirrtum, in welchem Sie sich befinden. 
Wir stehen auf einem ganz klaren, ganz befestigten Rechtsboden, der 
Krone und dem Staate Preußen gegenüber.“ Dieser Rechtsboden ist 
für die Katholiken der neu erworbenen Provinzen ihr altes, durch die 
Verträge bestätigtes Recht, für die Gesamtheit der preußischen Katho⸗ 
liken die Verfassung von 1850. Deren drei auf die Kirche bezügliche 
Artikel hatten nach Liebers Überzeugung zuerst eine Möglichkeit ge— 
schaffen, daß die katholischen Provinzen und Altpreußen sich näherten, 
sich anglichen und verwuchsen. Man hatte sie 1871 aufgehoben. Ihre 
Wiederherstellung schien ihm das einfachste Mittel, die ruhige Weiter⸗ 
entwickelung Preußens zu sichern. Doch verschloß er sich in diesem 
Augenblick nicht der Erwägung, daß sie vielleicht zu theoretisch ent— 
worfen, mehr auf die Bedürfnisse der neuen Provinzen als auf die 
des altpreußischen Systems zugeschnitten waren. Er erklärte es für 
angängig, hier einen Ausgleich zu erstreben, „in organischer Weise 
noch mehr in das Detail zu gehen und Bestimmungen zu suchen, die 
unter Anerkennung unserer natürlichen und geschichtlichen Rechte das 
Verhältnis dauernd, friedlich, allen Interessen gerechtermaßen entsprechend 
regeln“. 
In dem Bemühen nach Überwindung des großen Zwiespaltes 
in Preußens Staatskörper drängte sich zum ersten Male ein bedeut— 
samer positiver Zug in Liebers parlamentarischer Begabung nach außen. 
Er war ihm eigen. Hatte er sich auch ein paar Jahre hindurch von 
dem breiten Strom kirchenpolitischer Streitigkeiten tragen lassen, so 
bewährte er sich doch in der Stille der Kommissionen als unermüd— 
licher Arbeiter. Vom Beginne bis zum Beschlusse seiner Laufbahn 
als Abgeordneter werden sich nur wenige der großen Finanz-, Rechts-, 
Militär⸗, Schul- und Sozialgesetze im Reich oder in Preußen nach— 
weisen lassen, woran er nicht mit Hingebung sich beteiligte. Dadurch 
erwarb er sich schon in derselben Zeit, als er seine Kraft nach außen 
hin noch vorwiegend in Debatien vernutzte, eine außerordentliche parla—
	        
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