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Erster Abschnitt. Eintritt ins öffentliche und parlamentarische Leben. 1838-1878

Full text: Ernst Lieber als Parlamentarier / Spahn, Martin (Public Domain)

wohl geneigten Herrscherhause“ in höherem Maße als die Bewohner 
der anderen neuen Provinzen „loyale“ preußische Untertanen ge— 
worden wären. Der deutschnationale preußische Staat der Be— 
freiungskriege und der „christliche Staat“ Friedrich Wilhelms IV. 
war trotz aller Enttäuschungen die tiefste Liebe Josephs von Goerres 
gewesen. Ebenso konnte sich Lieber gleich bei seinem ersten bedeuten— 
deren Auftreten im Landtag auf seinen Vater berufen als auf einen 
Mann, der, „obgleich nicht Untertan, ein wahrer und wohlwollender 
Freund Preußens“ gewesen sei. Ihm selbst war der Blick für die 
Tüchtigkeit der preußischen Staatsverwaltung durch die staatliche Er— 
ziehung geschärft, die alle Nassauer unwillkürlich durch die heimische 
Staatsordnung erhielten; sie war in ihrer Eigenart vortrefflich und 
dem preußischen Organisationstalent in vielem ebenbürtig. Wohl war 
er Großdeutscher in dem Sinne, daß er das politische Einheitsband 
um alle deutschen Stämme geschlungen zu wissen wünschte. Aber nie 
hatte er eine Unterordnung Deutschlands unter sterreich auf Kosten 
der militärischen und wirtschaftlichen Vormacht Preußens im Bunde 
gewollt. Urteilsfähige Männer wie Jarcke, der im österreichischen 
Dienste gestanden hatte, scheinen ihn frühzeitig über die fremdartigen 
Zustände im Kaiserstaate aufgeklärt zu haben. Im Jahre 1873 nannte 
er einmal das Jahr 1819, als Metternich und Preußen sich zur ge— 
meinsamen Fortbildung des Bundes vereinigten, und wieder das ähn— 
liche Jahr 1849 einen besonders „glücklichen Moment“, und bei einer 
anderen Gelegenheit erklärte er den von Preußen geschaffenen Zoll— 
verein für „den glänzendsten Beweis“, „wie man auf handelspolitischem 
Wege große nationale Politik treibt“. 
Diese Gesinnung ward ihm durch Bismarcks Politik verstört. Er 
hat selbst erzählt, wie die Nassauer schon die preußische Reaktion der 
50 er Jahre, soviel sie davon erfahren, und gar die Konfliktsjahre, 
die ihnen durch den preußischen Militarismus heraufbeschworen schienen, 
„nicht mit besonderem Wohlgefallen“ aufgenommen hätten. In ihnen 
regte sich wieder die Furcht vor dem, was Goerres 1838 „das böse 
Gespenst“ genannt hat, „das nicht ablassen will, im preußischen Staate 
umzugehen und Unheil anzurichten“. Es folgte die gewaltsame Ein— 
gliederung des Herzogtums in den preußischen Staatskörper. Während 
des nassauischen Schulkampfes faßten dann die Katholiken zuerst Verdacht, 
daß die Liberalen bei der preußischen Behörde auf Rückhalt rechneten. 
Die preußische Bureaukratie rechtfertigte nach 1870 dieses Mißtrauen.
	        
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