in den deutschen Parlamenten stand, freute es ihn offensichtlich, seine
junge Kraft zu erproben. Sie war noch nicht voll entwickelt, und
Ungleichheiten in ästhetischer wie inhaltlicher Hinsicht störten das Eben—
maß seiner Vorträge. Immerhin wurden sie schon genügend bemerkt,
um die Art auch dieses Zentrumsmannes von nun ab in die Vor—
stellung der politisierenden Massen Deutschlands einzuprägen.
Der junge Lieber bewegte sich im Parlament von Anfang an
mit der Bestimmtheit des fertigen Mannes, sie war das Ergebnis
des traditionellen Selbstbewußtseins eines anerkannt tüchtigen Bürger—
geschlechtes. Er war auf die Pflege seiner äußeren Erscheinung bedacht.
Rastlos lebte er seiner Bildung, wobei er mehr ästhetisch-wissenschaft⸗
lichen als künstlerischen Liebhabereien nachging. Gern entwickelte er
in Reden und Gesprächen allgemeine Gedanken und Ideen. Er drückte
sie in einer gesuchten, wortreichen Sprache aus, welche sie wie mit
glatten, schweren Falten umhüllte. In seinen persönlichen Sympathien
und Antipathien schlug er stark und häufig um, was sich vielleicht am
ehesten aus einer Nachwirkung rhätischen Blutes in ihm erklärt, die
er der Abstammung seiner Familie aus Graubünden verdankte. Humor
hatte er nicht, statt dessen die Neigung zu ironisieren, und wenn er
gereizt wurde, zu schneidender, immer überlegter Schärfe. Nicht seine
Ideen waren originell. Aber er konnte es in ihrer Begründung sein.
Sichtlich hatte er Talent, nur war nichts Fließendes in seinem Wesen.
Der Sohn seines Vaters — so erschien er auf der parlamentarischen
Bildfläche. Moritz Lieber, nassauischer Legationsrat, war im katho⸗
lischen Volke hoch angesehen und jahrzehntelang mannigfach tätig ge—
wesen. Durch ihn hatte Ernst gleichsam von Kind an, daheim wie
in seinen Lehrjahren außerhalb, in einer Umgebung geistvoller Politiker
gelebt. Seine Taufpaten waren Philipp Veit und Karl Ernst Jarcke.
Jener war der deutsche Maler, dessen „Germania“ 1848 während
der Frankfurter Nationalversammlung die Paulskirche schmückte; dieser
hatte in den Z0er Jahren als Herausgeber des „Politischen Wochen⸗
blattes“ den Kreis um den preußischen Kronprinzen Friedrich Wilhelm
publizistisch vertreten und danach an den „Historisch-politischen Blättern“
hervorragend mitgearbeitet. In seinen Jünglingsjahren hatte Lieber
Gelehrter werden wollen. Äußere Umstände veranlaßten ihn, sich
der Politik zuzuwenden. Er hatte, nach Jahren des Privatunter⸗
richts im Elternhause und des Gymnasialbesuches in Aschaffenburg,
sowie in Hadamar, von 1858 bis 1861 in Würzburg, München, Bonn