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Erster Abschnitt. Eintritt ins öffentliche und parlamentarische Leben. 1838-1878

Full text: Ernst Lieber als Parlamentarier / Spahn, Martin (Public Domain)

staltete. Der Liberalismus, der in Süd- und Westdeutschland am 
frühesten und breitesten Wurzel geschlagen hatte, war nach seiner Her— 
kunft und durch jahrzehntelange Entwickelung von dem westlichen Europa 
und dessen Parteigestaltung abhängig, auch in Hinsicht auf die Reichs— 
verfassung unitarisch gesinnt; neuerdings schien zwar die selbständige 
Gruppe seiner niedersächsischen Anhänger durch die Ereignisse des 
letzten Jahrzehnts das Übergewicht in ihm zu erlangen, doch stand 
ihre werbende und organisierende Fähigkeit bei dem fein konstruierten 
Wesen ihres Führers Bennigsen in Frage. Die Konservativen Preußens 
waren im Partikularismus befangen; ihre freikonservativ-reichspartei⸗ 
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angesehener Männer als durch eine Bewegung im Volke herbeigeführt 
gelten. So blieb also Raum für die Bildung einer Partei, die un— 
gebunden durch Traditionen auf den Boden des Reiches trat und 
unbeengt durch doktrinäre oder radikale Gesichtspunkte seinen noch nicht 
oorauszusehenden Bedürfnissen sich anzupassen vermochte. Das Zentrum 
hielt sich die Aussicht frei, zu dieser Partei zu werden, indem es die 
Idee des Föderalismus im Sinne eines Ausgleichs zwischen Reichs— 
und einzelstaatlicher Entwickelung und die Idee staatlicher Sozial⸗ 
politik gegenüber der sich soeben organisierenden Sozialdemokratie in 
sein Programm aufnahm. Einstweilen freilich widmete die Partei alle 
— KD 
Staat. Das verführte sie auch dazu, den Schwerpunkt ihres Partei— 
lebens für die nächsten Jahre in die Einzellandtage als die Haupt⸗ 
stätten dieses Kampfes zu legen, sich also vom Reich und Reichstag 
zu entfernen. Mancherlei Tendenzen und Personen setzten sich da— 
durch in ihr fest, die es ihr späterhin notwendig erschwerten, zu jener 
vom konfessionellen und partikularistischen Wesen freien Reichspartei 
sich durchzubilden. 
Ernst Lieber war der Zentrumsfraktion von Anfang an bei— 
getreten. Er wurde von den Westerwäldern sogleich mit dem Früh— 
jahr 1871 auch in den Reichstag als ihr Vertreter geschickt. Einige 
Zeit hielt er sich als jüngstes Mitglied der Fraktion zur Seite. Von 
1873 jedoch, als die Beratung der Maigesetze ein zahlreicheres Auf— 
gebot von Zentrumsrednern als gewöhnlich empfahl und auch im 
Lande draußen mehr Versammlungsredner verlangt wurden, trat er 
als Redner mit einem Male in die erste Reihe. Bei der Höhe, auf 
der nach seinem Gefühl und in der Tat die Kunst der Rede damals
	        
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