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Erster Abschnitt. Eintritt ins öffentliche und parlamentarische Leben. 1838-1878

Full text: Ernst Lieber als Parlamentarier / Spahn, Martin (Public Domain)

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den Liberalen freie Hand im Innern gab und jetzt an Stelle der 
Habsburger an die Spitze aller deutschen Staaten trat, daß anderseits 
die Kirche im letzten Juli das Dogma von der Unfehlbarkeit verkündet 
hatte, drohte den Kampf nunmehr allgemein zu machen. Sorge darum 
veranlaßte am Vorabend der Landtagssession ungefähr ein halbes 
Hundert Abgeordneter, die der katholischen Minderheit in Preußen 
angehörten, sich gemeinsam zu beraten. Mancherlei Preß- und Wahl⸗ 
erörterungen der vergangenen Monate legten ihnen nahe, eine neue 
politische Partei zu bilden, um den Katholiken beizeiten eine brauchbare 
Verteidigungsstellung zu schaffen. Darauf einigten sie sich am Abend 
des 13. Dezember in der Tat. Doch vermieden sie es, der neuen Partei 
im Hinblick auf ihren nächsten Zweck ein konfessionelles Programm 
zu geben. Es war allerdings in der Presse Stimmung dafür gemacht 
worden, und das 19. Jahrhundert hatte mehrfach konfessionelle Partei— 
bildungen entstehen sehen. Sie aber ließen sich durch einen im Oktober 
zu Soest entworfenen Wahlaufruf westfälischer Katholiken auf eine 
breitere Grundlage der Parteibildung hinweisen: die sozialen und 
föderativen Probleme des nationalen Staats und der nationalen Ge— 
sellschaft wurden ebenmäßig neben den kirchlichen unter die Aufgaben 
der Parteibetätigung eingereiht. Man nannte die Partei „Zentrum 
Verfassungspartei)“. 
48 Mitglieder des Abgeordnetenhauses traten dem Zentrum sofort 
bei. Sie kamen aus den verschiedenartigsten Landesteilen, Gesellschafts— 
und Bildungskreisen, öffentlichen Arbeitsgebieten und politischen Lagern. 
Sie waren teils Laien, teils Geistliche, Verwaltungs- und richterliche 
Beamte, Männer der freien Berufe, Gewerbetreibende und Bauern, 
schlesische Magnaten, westfälische Adlige, rheinische Bürgerliche, Alt— 
preußen und Angehörige der 1814 und 1866 erworbenen Provinzen. 
Alsbald nach ihrer Konstituierung trat die Fraktion in die Agitation 
für die Wahlen zum mittlerweile geschaffenen deutschen Reichstag 
und ging mit 57 Mitgliedern aus ihnen hervor. Dadurch wurden 
die Elemente, aus denen sie sich bildete, noch mannigfaltiger, und es 
läßt sich kaum verkennen, daß die gemeinsame Sorge um das Recht 
ihrer Kirche das vornehmste Bindemittel war, das sie einstweilen zu— 
sammenhielt. Dennoch waren die parlamentarischen Bedingungen für 
ihr zukünftiges Verschmelzen und Wachstum günstig. Die bisherigen 
Parteien Deutschlands standen in wichtigen Programmfragen im Wider⸗ 
spruch zu der Natur des jungen Reichs, wie Bismarcks Wille es ge—
	        
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