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Lebenslauf

Full text: Der Berliner Getreidehandel unter dem deutschen Börsengesetz / Ruesch, Hermann (Public Domain)

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Bedarfsversorgung erwachsen können. Die Armee kann in kritischen 
Zeiten nicht ernährt werden ohne eine kräftige Produktenbörse und 
einen kapitalkräftigen Getreidehandel*. Und so soll denn auch die 
Anregung zur Wiederherstellung der Produktenbörse mit von der 
Kriegsverwaltung ausgegangen sein %). Gerade im vorigen Jahr waren 
wir wieder, wie schon oben erwähnt, in gefährlicher Weise von Vor- 
räten entblößt. Da bei der Verwickelung der politischen Konstellation 
eine Absperrung unserer Küste durchaus nicht ausgeschlossen schien 
und unsere heimische Ernte sich infolge der ungünstigen Witterung 
ziemlich verspätete, so lag ganz offenbar die allergrößte Gefahr vor, 
daß die Versorgung unseres Vaterlandes und vor allen Dingen des 
Heeres mit dem nötigsten Brot- und Futtergetreide nicht hätte be- 
werkstelligt werden können®). Dieser Umstand allein sollte schon 
genügen, die Unhaltbarkeit des jetzigen Zustandes zu erweisen. 
Die Wirkungen des Börsengesetzes haben sich überhaupt noch 
nicht in vollem Maße zeigen können, da das letzte Jahrzehnt in 
Bezug auf die Ernteergebnisse ziemlich normal verlaufen ist, aber 
doch haben sich schon Verhältnisse ergeben, die vom volkswirtschaft- 
lichen Standpunkt als gefährlich angesehen werden müssen, und eine 
Revision des Börsengesetzes sollte daher auch dem Getreidehandel 
wieder die Stelle in der Volkswirtschaft zuweisen, . die er vermöge 
seiner wichtigen Aufgabe zu beanspruchen hat. 
VII. Börsenreform. 
Seitens der Regierung hatte man bald eingesehen, daß die durch 
das Börsengesetz geschaffenen Zustände auf die Dauer nicht haltbar 
seien, wenn sie auch immer mit den politischen Machtfaktoren im 
Parlament rechnen mußte und so nur einen vermittelnden Stand- 
punkt einnehmen konnte. Wir sahen schon, wie sehr sich das Inter- 
esse der Regierung an der Wiederherstellung der Berliner Pro- 
duktenbörse zeigte und hier tatsächlich ein kleiner Erfolg errungen 
wurde. Aber doch mußte man erleben, daß das mühsam wieder 
aufgebaute Werk durch die Rechtsprechung bald aufs gefährlichste 
bedroht wurde. 
Das Bestreben, sich durch Erhebung des Registereinwands aus 
3 66 BG., des Einwands der verbotenen Termingeschäfte aus $ 50 
und 51 BG. und des Differenzeinwands aus $ 764 BGB. einge- 
gangenen Verpflichtungen zu entziehen, erfaßte immer weitere Kreise, 
und die Einwände wurden von Personen ausgenutzt, die eines be- 
sonderen Schutzes sicher nicht bedürfen und für die er überhaupt 
nicht bestimmt war%. Der Gesetzgeber konnte kein größeres Fiasko 
erleiden, als mit dem Abschnitt IV des Börsengesetzes über den 
Vgl. Gutachten des Börsenausschusses vom 11. und 12, Juni 1901. 
_ Ebenda. 
3) Vgl. Berliner Jahrbuch 1905, I, S. 276 ff. 
4) Begründung zur Börsennovelle (Drucksachen des Reichstags No. 244, Anlagen 
Bd. 2, 11. Leg.-Per. 1. Session).
	        
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