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den Berliner Getreidehandel die Schwierigkeiten noch nicht erschöpft.
Es handelte sich noch um die Oktroyierte Börsenordnung vom
23. Dezember 1896, in der besonders 2 Punkte den Händlern unan-
nehmbar schienen, die Ernennung von 5 Vertretern der Landwirt-
schaft durch den Landwirtschaftsminister und 2 Vertretern des Müllerei-
gewerbes durch den Handelsminister und ferner das praktisch uner-
füllbare Verlangen, in den Preisnotierungen bei den verschiedenen
Getreidegattungen die Sorten nach Ursprung, Gattung, Qualitäts-
gewicht, Beschaffenheit (Farbe, Trockenheit, Geruch) und Erntezeit
zu unterscheiden, ebenso die Angabe der gehandelten Mengen und
außer den höchsten und niedrigsten dafür gezahlten Preisen noch
die unerledigten Aufträge anzugeben, Bestimmungen, durch weiche
die Fungibilität der Lieferungsware einfach vernichtet worden wäre.
Doch die Hauptrolle sollte der erste Punkt spielen, und so wird es
sich nicht vermeiden lassen, auch auf diese Frage der Hineindelegie-
rung nichtkaufmännischer Mitglieder in den Börsenvorstand etwas
näher einzugehen, obgleich an und für sich diese Sache heute von
ziemlich geringer Bedeutung erscheint, da man sich ja schließlich
nach Verlauf von 3 Jahren ganz friedlich geeinigt hat und das zu-
gestand, was man vorher für unmöglich erklärt hatte. Die ganze
Entrüstung von damals wird also wohl vielmehr auf die so wie so
erregte Stimmung zurückzuführen sein, unkonsequent erscheint aber
die Haltung der Händler auf jeden Fall.
Allerdings wird auch ein objektiver Beurteiler der Dinge zugeben
müssen, daß die dem Handel gestellten Zumutungen nach dem so-
eben erfolgten Schlag des Terminhandelsverbots etwas reichlich stark
waren. Es ist absolut nicht zu verwundern, wenn man in den Kreisen
der Getreidehändler unmöglich an ein gedeihliches Zusammenwirken
mit Personen denken konnte, die noch kurz vorher die unbegrün-
detsten Verdächtigungen gegen ihren Stand ausgestoßen hatten. Wäh-
rend alle kaufmännischen Mitglieder des Börsenvorstandes aus der
freien Wahl der an dem Verkehr der Produktenbörse teilnehmenden
Korporationsmitglieder hervorgingen, sollten hier vom Ministerium
Leute hineindelegiert werden, von denen man annehmen mußte, daß
sie nur als Aufsichtsorgan funktionieren würden, was um so mehr
wahrscheinlich war, als der Börse im Laufe des Kampfs wiederholt
falsche Preisnotierung vorgeworfen war. Hier galt es die Ehre des
Standes zu wahren, wollte man nicht selbst zugeben, daß die Notie-
rung nicht den tatsächlichen Verhältnissen entsprach. War doch
schließlich durch die Ernennung des Staatskommissars von seiten
des Staats für genügende Aufsicht gesorgt. Man merkte eben die
Absicht, Berlin seine Bedeutung als Zentralbörse überhaupt zu
nehmen und es zu einem Lokalmarkt wie jeden anderen zu machen.
Eine derartige Funktion hat aber Berlin nie ausgeübt, hierfür diente
bestenfalls der Frühmarkt. Und vollends eine Mitarbeiterschaft
der Landwirte konnten sich die Getreidehändler bei der ganzen
Organisation und dem Wesen der Berliner Produktenbörse noch
weniger vorstellen. Sie wußten nicht, wie da rein kaufmännische
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