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Die von den Vereinen geübte Selbstverwaltung, Selbst—
regierung und Selbstdisziplin ersetzt überdies mehrere Erzieher und
füllt jene unvermeidlichen Ruhepausen, die meist in den Anstalten zu
empfindlichen sittlichen Nachteilen Veranlassung geben, in zweck—
mäßigerWeise aus und machtsie höheren Erziehungszwecken dienstbar.
Das Gedeihen solcher Organisationen in Rettungshäusern
und Besserungsanstalten hängt von folgenden Bedingungen ab:
1. Die Verfassung muß konstitutionellen Charakter
tragen.
2. Die Aufgabe des Erziehers, der sich von jedem schulmeister—
lichen Ton, von jeder Bevormundung möglichst fern zu halten hat,
besteht darin, den kollektiven Selbstbetätigungstrieb der
Zöglinge herauszulocken, zu pflegen, ihn in die richtigen
Bahnen zu lenken, schlechte, die Gemeinschaft gefährdende oder
schädigende Auswüchse zu unterbinden, die vorhandenen vielseitigen
Talente, Fertigkeiten und Neigungen der Kinder unter Wahrung
eines harmonischen Zusammenwirkens den Zwecken der Gemein—
schaft und den besonderen Tendenzen des Vereins nutzbar zu machen.
3. Einseitig der Geselligkeit und der Veredlung jugend—
lichen Lebensgenusses dienende Vereine sind nicht so ent—
wicklungs-⸗ und lebensfähig wie solche Vereine, die daneben auch
praktische gemeinnützige Aufgaben lösen und Arbeiten
leisten, die dem Erfindungsgeist und Tätigkeitstriebe der Kinder
ein weites Feld der Betätigung einräumen.
4. Durch den Unterricht in der sozialen Ethik,
sozialen Wohlfahrtspflege, Staatsbürgerkunde, Er—
ziehungslehre und Kunstlehre werden diese Bestrebungen
der Vereine innerlich befruchtet, während auch andererseits
die Erlebnisse und Erfahrungen in dem Vereinsleben ergiebiges
Anschauungsmaterial zu dem Unterricht in jenen Disziplinen liefern.
5. Derartige Organisationen dürfen nicht einzelne
Gruppen der Anstaltsinsassen umfassen, sondern müssen alle
treffen und umschließen, damit kein schädliches Cliquen—
wesen daraus erwächst, und müssen tunlichst jeder besonderen
Anlage, Fertigkeit und Neigung ein Operationsfeld bieten, auf
dem sie sich im Dienste der Gemeinschaft entfalten können.
Blaß, Praktische Erziehungsarbeit.