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Berlin anno dazumal im Winter.
Ich kann nie an unsre idyllische Wohnung in der
Bellevuestraße zurückdenken, ohne daß sich mir das
Bild der Leipzigerstraße im Winter aufdrängt.
Wer nicht bis vor der Einrichtung der Kanalisation
zurückdenken kann, der kann sich garkeine Vorstellung
von Berlin von anno dazumal im Winter machen
und wird meine Schilderung sehr übertrieben finden.
Sie ist aber durchaus wahrheitsgetren.
Die Leipzigerstraße war auch damals schon eine
der vornehmsten Straßen Berlins; in einer Beziehung
sogar vornehmer, als jetzt, denn von der Wilhelm⸗
straße bis zum Tore war kein Laden zu finden.
Eine „Schönheit“ aber machte sich auch im Sommer
bemerkbar. Das Haus Nr. 1238 gehörte nämlich einem
Schlächter, der, wie damals alle Schlächter, in seinem
Hause schlachtete. Und da er eine sehr große und
wohlhabende Kundschaft hatte, so schlachtete er wöchent—
lich mehrere Male und dann lief wöchentlich mehrere
Male das dampfende, weil mit heißem Wasser ver—
mischte Blut durch des Hauses Abflußkanal in den
Straßenrinnstein, in dem es dampfend nach beiden
Seiten abfloß und sich erst nach je 15220 Metern
im Schmutz des Rinnsteins verlief. Im Haufe aber
stank es unerträglich.
Im Winter blieb die ganze blutige Schmutzerei
permanent liegen, bis Schnee und Eis weggetaut
waren!
Und wie es in der vornehmen Leipzigerstraße
war, so war es selbstverständlich auch in allen andern