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Die Frau war bei der Geburt eines Knaben ge—
storben; fünf Minuten vor ihr der Knabe. Hätte dieser
sechs Minuten länger gelebt, dann wäre er der un—
bestreitbare Erbe seiner Mutter und Schindler der un—⸗
bestreitbare Erbe seines Sohnes gewesen!!
O sancta justitia!!! — — — —
Von unsern Vorstellungen in der „Laetitia“ steht
mir besonders eine, „Der Sohn der Wildnis“ lebhaft
vor Augen.
Selbstverständlich bewarben sich Mehrere um die
Rolle des Ingomar. Am eifrigsten Hager, unser
jugendlicher Liebhaber.
Dieser Darsteller jugendlicher Helden war polizei—
widrig klein und Summa Summarum süßer als eine
Mischung von Honig, Zucker, Lakritzen und Syrup!
Noch kleiner als Rouge der Nußknacker, flötete
er mit fast ununterbrochenem elegischen Augenaufschlag
alle seine Rollen mit der Unschuldsmiene einer keuschen
Jungfrau, weshalb er von den Laetitia⸗-Jungfrauen
leidenschaftlich angeschwärmt, von den Kollegen aber
schnöder Weise echt berlinisch „Sirop“ genannt wurde.
In der allwöchentlich stattfindenden Konferenz, in
der die Rollen besetzt und verteilt wurden, sagte Gräbert:
„Ne, Hager, das jeht denn doch nich. Sie sind
ja ein sehr guter junger Liebhaber, aber Ingomar,
ne, dafür sind Se viel zu niedlich! Ne, nich in die
Lameng! Ne, eher jebe ich ihn Schindlern!“
Fast ebenso eifrig, wie „Sirop“, bewarb sich
Bethge, unser Bonvivant. Er war ein auffallend
schöner junger Mann, genau so groß, wie ich; aber
mit dem ersten Blick erkannte man, daß seine Kräfte