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Prinzeß
Wilhelm
als Mutter
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Über das reale, materielle Leben war sie ziemlich ignorant und
hatte daher auch keinen Begriff davon, welchen Einfluß es mit
seinen vielfachen Verzweigungen und Störungen auf eine so ge—
schlossene Ehe gewinnen müsse, wenn Liebe und Ehe jede für sich
gestellt wurden. Mit diesen sonderbaren Ansichten übte sie wohl
oft einen gefährlichen Einfluß auf junge Gemüter aus und hat
vielleicht zu Verwickelungen des Herzens und unbedachten Ehe⸗
schließungen beigetragen. Daß man, verheiratet, auch Kinder haben
müsse, nahm sie als unumstößlich an, und diese sollten alles Übrige
ersetzen und möglich machen. Ihre Kinder berührten wohl auch die
einzige leidenschaftliche Seite ihres Herzens, denn sie liebte sie mit
einer Art Eifersucht. Niemand sollte teil an ihnen und ihrer Lei⸗
tung haben, sie legte den größten Wert darauf, sie stets nur allein
bei sich zu sehen; ja sie wußte sich etwas mit der kleinen Plage,
die sie ihr in den ersten Lebensjahren machten, zugute zu tun, und
übersah dabei, daß sie doch den größten Teil des Tages ihren Um⸗
gebungen überlassen blieben. Die Prinzessin verwendete z. B. die
halbe Nacht zu ihrer Korrespondenz und intellektuellen Beschäfti—
gung, stand dann spät auf, brauchte viel Zeit zur ersten Toilette,
sprach viele einzelne Personen, aß mit ihrem Hofe, fuhr spazieren,
während die Kinder es zu anderen Stunden taten. So konnte sie
schwer ein richtiges Urteil über die Umgebungen ihrer Kinder ge⸗
winnen, da sie dieselben nie en action mit ihnen sah und legte
daher wenig Wert darauf, daß es wirklich höchst unpassende Wesen
waren.
Sie lebte der Überzeugung, daß sie allein die einflußreiche
Leiterin ihrer Kinder)) sei, und diese blieben auch viel länger als
gut in solchen Händen. Namentlich war, glaube ich, der älteste
Prinz über zehn Jahre alt, ehe er den Weiberhänden entnommen
1) Prinz Adalbert (1811-1873), Oberbefehlshaber der preußischen,
später der deutschen Flotte; Prinzeß Elisabeth, geb. 1815, 1836 mit dem
Prinzen Karl Wilhelm Ludwig von Hessen und bei Rhein vermähtt;
Prinzeß Marie, geb. 1825, spätere Königin von Bayern (Gemahlin Mari⸗
milians II.).
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