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Erinnerungen der Karoline v. Rochow geb. v. d. Marwitz Erstes Kapitel. Kindheit. Erziehung. Jugend-Eindrücke (1792-1814)

Full text: Vom Leben am preußischen Hofe / Rochow, Caroline von (Public Domain)

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oder gute Freunde mit einer Hammelkeule traktieren konnte. Jetzt 
regeneriert man auch oder soll und will es wenigstens, aber man 
tut es auf Plüschsofas und Fauteuils, bequem hingestreckt, von 
Goldrahmen und Marmortischen umgeben, und rennt in Kirchen 
und Vereine. Ob mit Erfolg, kann nur die Zukunft lehren. 
Damals trat auch zuerst Schleiermacher auf, und wer auf 
Geist, Bildung und Streben Anspruch machte, mußte seine Kanzel- 
reden besuchen und den Umschwung machen von Aneillon, der 
inzwischen Lehrer des Kronprinzen geworden war und sein geistliches 
Amt niedergelegt hatte, zu der Schleiermacherschen Höhe christlicher 
Philosophie, deren Gedanken wohl nicht viele Geister begleiten, ja 
die meisten erst später im lesenden Studium erfassen konnten.) 
In Schleiermacher prägte sich vielleicht erst nach und nach das wahre, 
die Philosophie überstrahlende Christentum aus. Seine Persönlich 
keit hatte etwas Eigentümliches und man möchte annehmen, daß ein 
Zwiespalt zwischen seinem Charakter und der Natur seines Geistes 
bestehen mochte, der sich vielleicht erst in späteren Jahren zugunsten 
des ersteren ausglich. Denn er war bekannt durch seine liebevolle 
Milde und Nachsicht als Familienvater, als Freund und für alles, 
was in den Bereich seines persönlichen Verkehrs geriet, aber sein 
Verstand äußerte sich in durchaus scharfer, beißender, steptischer Weise. 
Einem guten, scharfen Witz konnte er im geselligen Leben nie 
widerstehen, und alles, was in politischer Beziehung je aus seiner 
Feder floß, trug bekanntlich einen fast giftig⸗galligen Charakter, der 
für einen Geistlichen etwas verletzend Unpassendes an sich hatte 
und gewiß viel dazu beitrug, daß selbst das Christentum in ihm 
mehr verkannt wurde, als das Ende seines Lebens und die Vollendung 
seiner Werke rechtfertigten. Sein nahes Verhältnis zu meinem 
Bruder Alexander? führte mich später zuweilen in gesellige Be— 
) Schleiermachers Reden über Religion erschienen 1798 und 1806, 
die Monologen 1800, die erste Sammlung seiner Predigten 1801, die „Weih— 
nachtsfeier“ 1806. 
Alexander v. d. Marwitz (1787 -1814), Ludwigs jüngerer, hochbe— 
gabter Bruder, gefallen bei Montmirail, Freund der Rahel und der Ro— 
mantiker. Vgl. über ihn Fontane, Wanderungen, Il, Oderland, S. 253-277 
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