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oder gute Freunde mit einer Hammelkeule traktieren konnte. Jetzt
regeneriert man auch oder soll und will es wenigstens, aber man
tut es auf Plüschsofas und Fauteuils, bequem hingestreckt, von
Goldrahmen und Marmortischen umgeben, und rennt in Kirchen
und Vereine. Ob mit Erfolg, kann nur die Zukunft lehren.
Damals trat auch zuerst Schleiermacher auf, und wer auf
Geist, Bildung und Streben Anspruch machte, mußte seine Kanzel-
reden besuchen und den Umschwung machen von Aneillon, der
inzwischen Lehrer des Kronprinzen geworden war und sein geistliches
Amt niedergelegt hatte, zu der Schleiermacherschen Höhe christlicher
Philosophie, deren Gedanken wohl nicht viele Geister begleiten, ja
die meisten erst später im lesenden Studium erfassen konnten.)
In Schleiermacher prägte sich vielleicht erst nach und nach das wahre,
die Philosophie überstrahlende Christentum aus. Seine Persönlich
keit hatte etwas Eigentümliches und man möchte annehmen, daß ein
Zwiespalt zwischen seinem Charakter und der Natur seines Geistes
bestehen mochte, der sich vielleicht erst in späteren Jahren zugunsten
des ersteren ausglich. Denn er war bekannt durch seine liebevolle
Milde und Nachsicht als Familienvater, als Freund und für alles,
was in den Bereich seines persönlichen Verkehrs geriet, aber sein
Verstand äußerte sich in durchaus scharfer, beißender, steptischer Weise.
Einem guten, scharfen Witz konnte er im geselligen Leben nie
widerstehen, und alles, was in politischer Beziehung je aus seiner
Feder floß, trug bekanntlich einen fast giftig⸗galligen Charakter, der
für einen Geistlichen etwas verletzend Unpassendes an sich hatte
und gewiß viel dazu beitrug, daß selbst das Christentum in ihm
mehr verkannt wurde, als das Ende seines Lebens und die Vollendung
seiner Werke rechtfertigten. Sein nahes Verhältnis zu meinem
Bruder Alexander? führte mich später zuweilen in gesellige Be—
) Schleiermachers Reden über Religion erschienen 1798 und 1806,
die Monologen 1800, die erste Sammlung seiner Predigten 1801, die „Weih—
nachtsfeier“ 1806.
Alexander v. d. Marwitz (1787 -1814), Ludwigs jüngerer, hochbe—
gabter Bruder, gefallen bei Montmirail, Freund der Rahel und der Ro—
mantiker. Vgl. über ihn Fontane, Wanderungen, Il, Oderland, S. 253-277
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