Path:

Full text: Vom Leben am preußischen Hofe / Rochow, Caroline von (Public Domain)

W 
—— 6 
Die Meinigen kehren eben aus der Kirche zurück. Der lange 
Zug der ernsten Männer soll ein schöner Anblick gewesen sein, von 
der Schuljugend mit weißen Fahnen begleitet. Dazu spielten die 
Musikchöre das Lied: „Ein feste Burg ist unser Gott“, das alle 
mitsangen. Eine unzählbare Menschenmenge füllte den Schloßplatz 
und die Fenster der umgebenden Häuser und Straßen. Mein 
Bruder, der unter den Ministern und Gesandten protestantischer 
Höfe den Zug in der Kirche erwartete, war von dem Anblick er⸗ 
hoben und sowohl jeder in der Stimmung, der Predigt mit Andacht 
beizuwohnen. Leider hat diese aber den ganzen schönen Charakter 
des Festes verdorben. Der Bischof Roß) erster Geistlicher an der 
Nieolaikirche, hielt eine flache, grelle Rede gegen den Katholizismus, 
betonte die Verfinsterung und Unwissenheit, die in ihm herrsche und 
machte so das schöne, religiöse Fest zu einer Parteisache. Den 
störenden Eindruck dieser Predigt empfanden alle Teilnehmer und 
so hat die Feier in Spandau einen weit wohltuenderen, klareren 
Nachklang hinterlassen als die hiesige. 
Abends hatten die Studenten einen Fackelzug veranstaltet. 
Er wurde erst spät gestattet und der König schlug die Illumination 
ab. Es herrschte eine Nuhe und Ordnung, wie man sie sich bei 
einem so großen Zusammenfluß von Menschen kaum denken kann. 
Alle Hospitäler wurden gespeist und jeder Arme erhielt zehn Silber⸗ 
groschen. Bei der Speisung der Invaliden kam eine spaßhafte Ant⸗ 
wort vor. Da sie verschiedener Konfession sind, so setzte man voraus, 
daß den Katholiken das Festmahl Anstoß geben möchte, und über⸗ 
ließ es einem Jeden, ob er einen Neichstaler nehmen oder der 
Speisung beiwohnen wollte. Darauf nahm nur eine kleine Anzahl 
das Geld, die anderen meinten: „als es zum Kriege ging, habe keiner 
sie nach ihrer Religion gefragt, warum denn nun bei dem Essen?“ 
7 
Feier in 
VBerlin 
g 
4 
3. November?) 18309. 
Der König ist heute nach Spandau gefahren, wo kein Mensch 
i Dr. Roß war Wirkl. Ober⸗Konsistorialrat und Propst, zweiter General⸗ 
Superintendent der Provinz Brandenburg. 
2) Ein Sonntag. 
z8 
j
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.