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Europa hatten, wie man behaupten wollte, zu des Königs eigener
größter Verwunderung.
Das sonderbare Suchen nach geeigneten Persönlichkeiten für
die Staatsämter brachte zu jener Zeit das unerhörte Faktum zutage,
daß der an unserem Hof akkreditierte dänische Gesandte Graf
Bernstorff) mit einem Schritt aus diesem Posten in den unseres
eigenen Ministers der auswärtigen Angelegenheiten übertrat, ohne
daß es anscheinend großen Widerspruch erregte. Eine vornehme
Personlichkeit, ein anerkannt edler Charakter, eine feine Bildung
aus der Schule seines Onkels Stolberg und dahineinschlagende
Richtung, eine große, heitere, liebenswürdige Familie, die sich sehr
bald mit den einheimischen Familien und Verhältnissen assimilierte
und eine Zeitlang ein hübsches, gastfreies Haus in Berlin bildete,
mochte darüber hinwegführen. Nur vereinzelt hörte man die An—
sicht,) daß alles Gute, was darin liege, wenigstens einen Teil
unserer Staatsleitung aus jenem verworrenen Treiben heraus in
sachkundige Behandlung zu bringen — dennoch den Nachteil nicht
aufwiegen könne, der darin läge, daß ein geborener Däne unmög—
lich das preußische Gefühl besäße, das man vor allem von einem
preußischen Staatsmann verlangen müsse.
Die Erfahrung bestätigte diese Ansicht. Trotz seiner un—
leugbaren Vorzüge hat Bernstorff keine hervorragende Stelle in
unserer Staatsgeschichte eingenommen, es auch nicht dahin gebracht,
eine ordentliche Diplomatenschule bei uns zu bilden, obgleich unter ihm
die Diplomatie als spezielle Karriere und die einschlägigen Eramina
zuerst in Aufnahme kamen. Es haftete ihm eine gewisse Trägheit
an, und er gab sehr bald wieder das Vorrecht auf, dem Könige
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Graf
Bernstorff 9
Minister *
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1) Graf Christian Günther v. Bernstorff (1769 -1835), 1797 - 1810
dänischer Minister des Auswärtigen, 1815 dänischer Gesandter beim Wiener
Kongreß, dann in Berlin, 1818 — 1831 preußischer Minister des Auswärtigen.
Er war ein entschiedener Gegner der Liberalen. Seine Gemahlin war Gräfin
Elise v. Bernstorff, geborene Gräfin Dernath. Vgl. sein Bild in den Er—
innerungen der Gräfin Elise v. Bernstorff, Bd. U (Titelbild).
2) Sie wurde z. B. von Marwitz ausgesprochen. Vgl.seine Aufzeichnungen
a. a. O. I, S. 677 f.
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