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Der Pionierwille.
weiter und schneller entgegen. Man hat nicht
Kultur, aber Kulturehrgeiz. Und man erkennt
durch seine Haltung stillschweigend an, daß
Vieles, daß das Beste in Berlin noch fehlt. Darum
läßt man im stolzen Mäcenatengefühl die sitt-
lichen Anklagen Tolstois und Ibsens über sich
ergehen, hätschelt die Dichter der „Weber“
und des ‚„„Nachtasyl‘“, läßt sich die Simplizis-
simusgrobheiten Wedekinds schmunzelnd ge-
fallen, wie man zustimmend einst zu den Scho-
nungslosigkeiten Zolas genickt hat. Nur in der
deutschen Stadt, wo die Presse am meisten ame-
rikanisiert und sensationiert ist, konnte ein vor-
aussetzungsloser, sozialpolitischer Kritiker wie
Harden große Erfolge erzielen und eine Reor-
ganisation des Pressegeistes anbahnen; nur in
Berlin, wo jede Halbwahrheit geglaubt, jede
Übertreibung und schmeichelnde Lüge willkom-
men geheißen wird, konnte sich zugleich um und
neben einem Publizisten wie diesem eine namen-
lose Partei der Parteilosen, der Sachlichen und
Zukunftskräftigen bilden. In derselben Stadt,
wo die Bevölkerung sich dem neuen Kaisertum
zuerst und am willenlosesten byzantinisch hin-
gegeben hat, ist auch die schärfste und erfolg-
reichste Kritik eben dieses Byzantinismus auf-
gestanden.‘ In allen Dingen ist es dasselbe: auf
dem höchsten Punkt überschlägt sich jedesmal
die Entwicklung, und in dem wirren Großstadt-
trubel, in dem alle Kultur scheinbar vernichtet