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Großstadtschicksale I.

Full text: Berlin / Scheffler, Karl (Public Domain)

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Die Großstadtgesellschaft. 
dungen und Spiegelglas. In diesen Palästen 
läßt sich der moderne Mittelstandsphilister ver- 
fälschte Weine mit wohlklingenden Etiketten- 
namen und wohlfeile, schmacklose Gerichte ser- 
vieren. Prächtig aber billig, billig aber schlecht: 
darin ist im Kern die ganze Eßkultur des Reichs- 
hauptstädters. Jeder kleine Emporkömmling 
will sich als Kapitalist, als Kunde und Herr 
fühlen, will sich die Delikatessen der Saison vor- 
setzen lassen und die Sektpfropfen knallen hören. 
Im Restaurant kommt sein Parvenütum wahrhaft 
grotesk zum Vorschein. Er schmeckt gar nicht, 
was er ißt und trinkt; er schmeckt nur den Schein 
und die Freude, ‚sich selbst hochgeehrt vom Wirt 
in einem prächtigen Saal zu sehen. Bis zur Manie 
geht das Prunkbedürfnis. Stehbierhallen, wo 
nur im eiligen Vorübergehen für ein paar Nickel 
gefrühstückt wird, müssen mit bunter Schau- 
budenpracht hergerichtet sein. Betrachtet man, 
wie sich der Mittelstand in diesem ekelhaften 
Pseudoglanz benimmt, so spürt man dann freilich 
gleich die Grundlagen der Unkultur. Die Viel- 
esserei der Berliner in den Prunkwirtschaften 
ist fast ekelerregend. Besonders des Abends. 
Dieselben Leute, die zu Hause knickern, tun 
im Restaurant bei ihrer Flasche geschmiertem 
Mosel, als könnten sie ohne Austern und unter 
vier‘ Gängen nicht existieren, dieselben Klein- 
bürger, die sich sonst mit einer Wurststulle be- 
gnügen, wären chockiert, wenn sie nichts Warmes
	        
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