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Wilhelm II.
Wie die Bevölkerung in den ersten Jahr-
hunderten des Stadtdaseins determinierend auf
ihr Fürstengeschlecht gewirkt hat, so hat sich
auch jetzt wieder der Träger der Krone dem
Milieu des neuen Berlin nicht entziehen können.
Die Atmosphäre, worin die dem Reichs- und
Großstadtillusionismus verfallene Menge lebt,
ist auch ins Kaiserschloß gedrungen. Waren die
Hohenzollern, wie die Einwohner ihrer Haupt-
stadt, einstmals Pioniere und Kolonisatoren, so
stimmt Wilhelms des Zweiten Regierungsart
mit dem Geiste des neuen Berlin insofern überein,
als auch sie das Produkt eines noch unklaren
Machtgefühls und eines materialistisch denken-
den Illusionismus ist. Wilhelm der Erste war
noch ein Fürst altberlinischen Stils. Er repräsen-
tiert mit seinem Wesen das Berlinertum der
vormärzlichen Zeit, oder doch der Zeit vor der
Einigung des Reiches. In seinem Wesen war,
trotz der milden Grandseigneurzüge, die ihn so
liebenswürdig machen, das Herbe, das Trockene
und Prosaische sowohl wie das sachlich Tüch-
tige des alten Berliners. Er war gut bürgerlich
und mehr Landedelmann eigentlich als Kaiser.
Seine vornehm stille Gestalt ragt in die neue Zeit
hinein, wie das Denkmal einer schon vergan-
genen Epoche; er war nichts weniger als ein
Kaiser der Gründerzeit und des Industriezeit-
alters. Der Industriekaiser, der Großstädter auf
dem Thron ist erst Wilhelm der Zweite ge-