122
Die Gesellschaft.
müssen. Dieser subalterne Dünkel, der sich
auf sehr wesentliche Tugenden stützen konnte,
hat sich der gesellschaftlichen Kultur durchaus
feindlich erwiesen. Die Furcht, sich etwas zu
vergeben, hat eine ängstliche Rangordnung ge-
schaffen; und ein weitverzweigtes Titelwesen
ist die natürliche Folge gewesen. Da die armen
Fürsten ihre Beamten nicht wohlhabend machen
konnten, so bezahlten sie sie mit sozialem An-
sehen; und da sie ihre Beamten mit Vorliebe aus
dem Soldatenstande nahmen, so kam mit der
Zeit in diesem ganzen Stande eine Gesinnung
zur Herrschaft, die nicht nur unempfindlich
machte für bürgerliche Gesellschaftkultur, son-
dern die den Versuch dazu mit falschem Selbst-
gefühl sogar ablehnte.
Den schaffenden Bürger nahm weder der
Adelige noch der Beamte für einen Gleichberech-
tigten. Es konnte sich dieser Bürger dann aber
soziales Ansehen auch nicht erzwingen, weil er
in Berlin zu keiner Zeit große Macht zu ent-
wickeln vermocht hat. Wie er die alte Kolonial-
stadt nicht zu einer einheitlich schönen Bürger-
stadt zu machen gewußt hat, so hat er sich selbst
auch nicht gesellschaftlich organisieren können.
Die Bürgerschaft hat sich von vornherein immer
gespalten in Landsmannschaften und in Inter-
essenkreise; aber sie hat sich nie Gelegenheiten
geschaffen, Familientraditionen zu bilden und
weiterzugeben, Berlin war nie eine ausgespro-