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Full text: Kommunale Schulentwicklungsplanung: Herausforderungen und Gestaltungsmöglichkeiten in Zeiten wachsender Großstädte (Rights reserved)

Die Transferagentur für Großstädte der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung THEMENDOSSIER Kommunale Schulentwicklungsplanung: Herausforderungen und Gestaltungsmöglichkeiten in Zeiten wachsender Großstädte Impressum Herausgeberin Deutsche Kinder- und Jugendstiftung GmbH Tempelhofer Ufer 11 10963 Berlin Tel.: (030) 25 76 76 - 0 www.dkjs.de info@dkjs.de Diese Publikation wurde von der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung im Rahmen des Programms Transferagentur für Großstädte angefertigt. Die Transferagentur für Großstädte unterstützt Städte im Aufbau eines datengestützten Bildungsmanagements. Sie wird als Vorhaben der „Transferinitiative Kommunales Bildungsmanagement“ aus Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung gefördert. Partner sind die Alfred Toepfer Stiftung F. V. S., die Bürgerstiftung Bremen, die Berliner Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie, die Behörde für Schule und Berufsbildung Hamburg und die Bremer Senatorin für Kinder und Bildung. www.transferagentur-grossstaedte.de Redaktion Sabrina Dietrich, Ricarda Eberhardt Bildnachweis Bergische Universität Wuppertal (S. 24), Piero Chiussi (S. 27), Markus Lenk (S. 4), Mia Marincovic (S. 6), Carolina Ramirez (S. 19, 20), Frank Scheffka (Titel, S. 11, 14, 22, 28), Privat (S. 2, 9) Gestaltung Studio GOOD, Berlin Druck LASERLINE GmbH Die Deutsche Kinder- und Jugendstiftung (DKJS) setzt sich für Bildungserfolg und gesellschaftliche Teilhabe junger Menschen ein. Für dieses Ziel bringt die DKJS Akteure aus Staat, Wirtschaft, Praxis und Zivilgesellschaft zusammen und entwickelt mit ihnen praktische Antworten auf aktuelle Herausforderungen im Bildungssystem. © DKJS 2022 Die Inhalte dieser Publikation wurden mit größtmöglicher Sorgfalt erstellt. Es wird jedoch keinerlei Gewähr für die Aktualität, Richtigkeit und Vollständigkeit der bereitgestellten Informationen übernommen. Dieses Vorhaben wird aus Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung gefördert. Themendossier von Elmar Dörfers, Dr. Daniel März und Moritz Schnitger, Transferagentur für Großstädte Stand: September 2022 Alle Themendossiers der Transferagentur für Großstädte finden Sie unter www.transferagentur-grossstaedte.de/ publikationen Inhalt 05 Einleitung: Wachsende Großstädte und ihre Bedeutung für die kommunale Schulentwicklungsplanung 06 Kapitel 1: Standortbestimmung kommunaler Schulentwicklungsplanung Kommunale Schulentwicklungsplanung in deutschen Großstädten Modernisierungstreiber in Bildungskommunen – Datenbasiertes kommunales Bildungsmanagement und Schulentwicklungsplanung im integrierenden Dialog?! Ein Gastbeitrag von Björn Hermstein, Stadt Oberhausen Quo Vadis SEP und DKBM? Kommunale Schulentwicklungsplanung im Wandel der Zeit 06 08 12 14 14 18 22 Kapitel 2: Blick in die Praxis Ganzheitliche Schulentwicklungsplanung nach Bielefelder Art Ein Interview mit Dr. Anna Klein und Lutz C. Popp Schwerpunkt Ganztag Partizipation als Schlüssel? Integrierte Schulentwicklungsplanung und Gesamtkonzept Ganztag in Frankfurt am Main Ein Gespräch mit Monika Ripperger und Maren Hullen Integrierte Bildungs- und Jugendhilfeplanung in Dortmund Ein Gespräch mit Christina Luchmann und Sabine Köhler 24 24 Kapitel 3: Externe Begleitung Wissenschaft trifft Praxis: „Manchmal braucht es einfach eine Vogelperspektive.“ Ein Interview mit Dr. Anna M. Makles, Bergische Universität Wuppertal 28 30 Fazit – DKBM als „Modernisierungsprogramm“ der SEP Endnoten 04 Einleitung: Wachsende Großstädte und ihre Bedeutung für die kommunale Schulentwicklungsplanung In vielen Großstädten wächst die Bevölkerung. Dieses Wachstum findet durch junge Bildungs- und Berufswander:innen, einer verstärkten Zuwanderung seit 2015 sowie einem Anstieg der Geburtenrate statt. Vielerorts führt dies zu einem demografischen Hoch, was den Bedarf an Kitas und Schulen – vor allem Grundschulen – rasant steigen lässt. Darüber hinaus werden kommunale Verwaltungen noch vor zusätzliche Herausforderungen in der Entwicklung ihrer Bildungslandschaften gestellt: sozialräumliche Segregationsprozesse, der steigende Bedarf an Ganztagsbetreuung, die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention im Schulbereich, die Digitalisierung des Lehrens und Lernens etc. Kommunale Schulentwicklungsplanung (SEP) ist dabei ein zentraler Bestandteil kommunaler Bildungssteuerung und ein wichtiges Zukunfts- und Gestaltungsfeld für ein datenbasiertes kommunales Bildungsmanagement (DKBM). Immer mehr Großstädte initiieren ihre Schulentwicklungsplanung mit integrierten, partizipativen, ganzheitlichen und extern begleiteten Verfahren, um ein leistungsfähiges und bedarfsgerechtes Schulangebot vor Ort sicherzustellen. Doch was verbirgt sich hinter solchen Begriffen und was wird mit ihnen verbunden? Diese Fragen waren Ausgangspunkt für ein digitales Treffen des Großstadtnetzwerks der Transferagentur für Großstädte (TAG) im Dezember 2021 unter dem Titel „Kommunale Schulentwicklungsplanung – Steuerungsmöglichkeiten in Zeiten wachsender Großstädte“. Vertreterinnen und Vertreter aus 28 Großstädten diskutierten intensiv über Handlungsspielräume und Lösungsansätze kommunaler Schulentwicklungsplanung. Das vorliegende Dossier ist in Nachbereitung dieses Großstadtnetzwerks entstanden und führt zentrale Erkenntnisse und Praxiserfahrungen zusammen. Zu den einzelnen Beiträgen „Modernisierungstreiber in Bildungskommunen – Datenbasiertes Kommunales Bildungsmanagement und Schulentwicklungsplanung im integrierenden Dialog!?“, ist die Ausgangsfrage des Beitrags von Björn Hermstein. Er wirft aus wissenschaftlicher Sicht einen Blick auf das Verhältnis von Schulentwicklungsplanung und DKBM, insbesondere auf die Modernisierungsfunktion, die das DKBM in der Weiterentwicklung der kommunalen Schulentwicklungsplanung übernehmen kann. Nach einem vergleichenden Seitenblick auf die Veränderung der kommunalen Schulentwicklungsplanung und des DKBM im Wandel Zeit, zeigt die Stadt Bielefeld ihr Vorgehen bei der Neuausrichtung ihrer Schulentwicklungsplanung vor dem Hintergrund steigender Schüler:innenzahlen. In einem Interview mit den Prozessverantwortlichen der Bielefelder Stadtverwaltung, Dr. Anna Klein und Lutz C. Popp, werden u. a. Hintergründe, Prozessschritte und Ergebnisse dieses zweijährigen Vorhabens beleuchtet. In zwei weiteren kommunalen Praxisbeispielen widmen wir uns verstärkt den Themen der integrierten Planung: Im Fokus stehen dabei die Herausforderungen im Bereich der Ganztagsschulentwicklung, vor dem Hintergrund des immensen kommunalen Handlungsdrucks durch den gesetzlichen Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung an Grundschulen ab 2026. Die Stadt Dortmund zeigt, wie der Aufbau einer integrierten Bildungs- und Jugendplanung ein konzertiertes Vorgehen beim Ausbau der Ganztagsbetreuung unterstützen kann. Das Beispiel der Stadt Frankfurt verdeutlicht, welche Möglichkeiten ein integrierter Planungsprozess mit starken partizipativen Elementen bei der Entwicklung eines Gesamtkonzepts für den Ganztagsausbau bietet. Zum Abschluss des Themendossiers erläutert Dr. Anna M. Makles vom Wuppertaler Institut für Bildungsökonomische Forschung (WIB) im Interview die Möglichkeiten und Herausforderungen der externen Begleitung kommunaler Schulentwicklungsplanung. 05 KAPITEL 01 Standortbestimmung – kommunale Schulentwicklungsplanung und DKBM Kommunale Schulentwicklungsplanung in deutschen Großstädten Im Rahmen des Großstadtnetzwerks „Kommunale Schulentwicklungsplanung – Steuerungsmöglichkeiten in Zeiten wachsender Großstädte“1 im Dezember 2021 wurden die 41 Teilnehmer:innnen aus 28 Kommunen zur Ausgestaltung ihrer kommunalen Schulentwicklungsplanung befragt. Die Ergebnisse der Befragung (35 Teilnahmen) geben einen guten Überblick zum aktuellen Stand der kommunalen Schulentwicklungsplanung in deutschen Großstädten zu relevanten Reformansätzen wie z. B. integrierter Planung, Partizipation von kommunalen Bildungsakteur:innen, externer Begleitung und kontinuierlichem Monitoring. 06 Die kommunale SEP in meiner Stadt … … steht vor der Herausforderung einer wachsenden Stadtbevölkerung. 9% Trifft eher zu … findet in Kooperation mit anderen Fachbereichen und Ämtern statt. 6% Trifft eher nicht zu 26 % 31 % Trifft zu Trifft eher nicht zu 85 % 43 % Trifft zu … nutzt ein regelmäßiges Monitoring. 3% Trifft nicht zu 37 % Trifft eher nicht zu … findet unter Beteiligung der Bildungsakteur:innen vor Ort statt. 31 % 9% 29 % 20 % Trifft zu Trifft eher zu … bereitet politische Entscheidungen vor, indem sie Handlungsempfehlungen entwickelt. 21 % Trifft eher nicht zu 41 % Trifft eher zu Trifft eher zu 47 % Trifft zu 26 % Trifft nicht zu Trifft zu 46 % Trifft eher nicht zu Trifft eher zu … hat Erfahrung mit externer/wissenschaftlicher Begleitung (z. B. wissenschaftliche Institute, Planungsbüros oder Expert:innengremien) 11 12 1 Ja Nein Ist geplant 07 Modernisierungstreiber in Bildungskommunen – Datenbasiertes Kommunales Bildungsmanagement und Schulentwicklungsplanung im integrierenden Dialog?! Von Björn Hermstein, Stadt Oberhausen SEP und DKBM – Kommunale Institutionen im Modernisierungsprozess des Bildungswesens Immer mal wieder taucht die Kommune als hoffnungsvoller steuerungspolitischer Referenzpunkt in der Geschichte des Bildungswesens auf. Dabei scheinen sich Muster abzuzeichnen: Weder die in den 1960er und 1970er Jahren von Bund-Länder-Gremien vorangetriebenen Bildungsreformen noch die auf Chancengerechtigkeit und Leistungssteigerung abzielenden Innovationen im Bildungssystem seit Veröffentlichung der ersten PISA-Studie sind durchgreifend wirksam. Schlussendlich treten die Kommunen als Hoffnungsträgerinnen auf den Plan. Die vermeintlich unbestechliche Idee dieser Externalisierung im Mehrebenensystem der Bildung: „Vor Ort“ lassen sich die (über-)großen Fragen besser in handhabbare Problem-Lösungs-Konstellationen überführen und passgenau bearbeiten. Ob die intendierten Ziele mit der symbolischen Aufwertung von Kommunen zu Bildungskommunen tatsächlich besser zu erreichen sind, ist zwar angesichts ernüchternder Effektivitätsdefizite von Bildungsreformen für den Abbau von Bildungsungleichheiten zu bezweifeln.2 [Anm. d. Red.: Der Begriff Bildungskommunen bezieht sich nicht auf das gleichnamige BMBF-Förderprogramm sowie die teilnehmenden Kommunen.] Gleichwohl scheint sie nach wie vor zu überzeugen. Immerhin werden seit knapp zwei Jahrzehnten enorme Mengen Geld und Aufmerksamkeit in die Idee einer von Managementpraktiken geprägten und vernetzten Bildungskommune investiert. Nicht nur programmatisch, sondern auch institutionell verfestigt sich eine gewisse Eigendynamik im Sinne einer Aufwertung von Kommunen als Bildungskommunen. 08 Die seit den 1970er etablierte kommunale Schulentwicklungsplanung (SEP) sowie das in den zurückliegenden eineinhalb Dekaden zusehends reüssierende Datenbasierte kommunale Bildungsmanagement (DKBM) verleihen der Idee der aktiv gestaltenden Bildungskommune dabei Sichtbarkeit. Beide sind, in Verbindung mit offensiv vorgetragenen Anspruchsäußerungen (siehe nur die Münchener und Aachener Erklärungen des Deutschen Städtetages), zudem Ausdruck eines offensiv vorgetragenen kommunalen Selbstbewusstseins im Feld der Bildung, aber auch zunehmender Orientierungs- und Koordinierungsbedarfe.3 Im historischen Rückblick zeigen sich deutliche Parallelen hinsichtlich der Etablierung von SEP und DKBM. Beide sind auf historische Zäsuren zurückzuführen. Prozesse einer systematischen kommunalen SEP sind eine Folgeerscheinung der in den 1960er und 1970er aufkeimenden (Bildungs-)Planungseuphorie.4 Als Startpunkt einer systematischen SEP ist der 1971 in Dortmund abgehaltene Schulkongress auszumachen, bei dem die kommunalen Schulträger ihre Bereitschaft zur Mitwirkung an der Reform des Bildungswesens unterstrichen. Im Strukturplan legte der Deutsche Bildungsrat die Einflussmöglichkeiten kleinräumiger Ebenen bereits an, sollten die Bildungspläne des Bundes und der Länder doch so konzipiert sein, „daß sie für regionale und kommunale Differenzierung Raum lassen und dementsprechend durch regionale und kommunale Pläne ergänzt werden können“5. Schulentwicklungsplanung wurde als regionaler bzw. kommunaler Zweig der Bildungsplanung konzipiert, der an die auf übergeordneten Ebenen vollzogenen Konzept- und Strukturplanungen anschließt und speziell auf die Erhaltung, Veränderung und Neuanlage von Björn Hermstein hat zur Rolle kommunaler Schulträger im Feld der Entstehung regionaler Schulangebotsdisparitäten an der Friedrich-Schiller-Universität Jena promoviert und leitet den Fachbereich Bildungssystementwicklung im Schulbereich der Stadt Oberhausen. Schulstandorten und -strukturen in konkreten Gebietskörperschaften ausgerichtet ist. Auch der massive Aufschwung des DKBM, dessen programmatische Vorläufer mindestens bis in die 1990er Jahre zurückreichen (Bildungskommission NRW (1995): „Zukunft der Bildung – Schule der Zukunft“) ist im Kontext eines spezifischen historischen Ereignisses zu sehen: dem PISA-Schock im Jahr 2001. Obschon in der Entwicklung von Bildungsregionen kein Reformelement der „ersten Reihe“ zu sehen ist und die Länder sich eher in Zurückhaltung übten, scheint sich das DKBM neben der traditionellen bildungsbezogenen Infrastrukturplanung als zweite Säule kommunaler Bildungsverantwortlichkeit erfolgreich, d. h. flächendeckend und mit hohen Qualitätsansprüchen, zu etablieren.6 Techniken. Ob allerdings DKBM und weitere Initiativen der innovativen Inszenierung von Bildungsregionen mit ihren vielfältigen Produkten und Dienstleistungen tatsächlich Folgen im Sinne der Programmziele mit sich bringen, ist möglicherweise im Einzelfall dezidiert nachweisbar, hinsichtlich einer Breitenwirkung aber keinesfalls erwiesen. Ein harter empirischer Nachweis einer effektiven Förderung lebenslangen Lernens oder Bildungsbenachteiligungen entgegenwirkende Vernetzungen an Übergängen zwischen Bildungsstufen ist ohnehin nur im Rahmen großangelegter Studien zu erbringen. Dennoch sollten die Akteur:innen des DKBM, auch angesichts der erheblichen Investitionsbedarfe (Stellen, Geld, Zeit, Aufmerksamkeit) darauf vorbereitet sein, zukünftig in verstärktem Maße ihre Leistungen im Sinne von an den Programmzielen zu bemessenden Outcomes nachzuweisen. Das DKBM auf dem Weg in welche Zukunft? Nun allerdings, nach Jahren verheißungsvoller Versprechungen, großer Hoffnungen und intensiver symbolischer wie finanzieller Förderung scheinen zukunftsweisende Bewährungsproben auf das DKBM zuzukommen. Zweifellos hat das DKBM enormes Potenzial, den Kommunen ein über die gesetzlich definierten (pflichtigen) Aufgabenbündel hinaus zusätzliches Gewicht im Feld der Bildung zu verleihen. Die wesentliche Leistung muss bis dato in der nicht zu unterschätzenden Modernisierung der kommunalen Bildungsverwaltung gesehen werden. Messbar wird diese fachliche Neuordnung etwa am Anteil von Absolventinnen und Absolventen aus erziehungswissenschaftlichen oder sonst an die Bildungsforschung angebundenen Studiengängen, der Struktur bildungsbezogener Stellenpläne und Ämter sowie den aus der empirischen Sozialforschung importierten Voraussichtlich wird das DKBM nicht vor kritischen Nachfragen hinsichtlich seiner Funktion und der erwarteten Effektivität gefeit sein, insbesondere wenn die schützenden Programmförderungen des Bundes einmal versiegen sollten oder die angebotenen Förderkonditionen nicht mehr attraktiv erscheinen. Gerade in Kommunen, für die das DKBM in der derzeitigen Verfassung eine finanzielle Kraftanstrengung bedeutet, und wo das DKBM in Politik und Verwaltung nach wie vor eher verunsichernde Irritation statt eines tatkräftigen Zusammenwirkens auslöst, ist die Zukunft des DKBM inhaltlich wie strukturell ungewiss. Viel wird davon abhängen, ob das DKBM in den kommenden Jahren imstande ist, spezifische Funktionen im Verhältnis zu den traditionellen Institutionen in Bildungskommunen auszubilden. Dies wird wahrscheinlich nur gelingen, insofern das 09 DKBM Anschlussfähigkeit und Innovationsfähigkeit im integrierten Zusammenwirken mit fest verankerten Institutionen wie der SEP, den Aufgabengebieten der unteren Schulaufsicht oder der Kinder- und Jugendhilfeplanung nachweisen kann. Bausteine des integrierten Zusammenwirkens von DKBM und SEP Im Folgenden werden Bausteine eines integrierten Zusammenwirkens von DKBM und SEP skizziert. Im Mittelpunkt der Überlegungen steht die Frage, welche Perspektiven sich ableiten lassen, wenn einerseits traditionelle Strukturen offen für innovative Impulse sind, andererseits das DKBM inhaltlich und programmatisch näher an die etablierten Ebenen heranrückt. DKBM als Treiber rationaler Legitimierung in Planungsprozessen Ausgehend von der Einsicht, dass kommunale Bildungssystementwicklung weniger von der einwandfreien Analyse und Projektierung als vom kommunalpolitischen Interessenausgleich getragen ist7, sollte das DKBM sich aktiv in diese Prozesse einschalten, um sein Profil zu schärfen und seine spezifischen Funktionen objektiv beobachtbar zu machen. Die kommunale SEP ist bereits gesetzlich als politischer Prozess angelegt. Die methodisch-technischen Verfahren (Bestandserhebung, Prognosen, Kostenschätzung) sind eingebettet in einen zwischen kommunalen Stakeholdern koordinierten sozial-kommunikativen Rahmen der politischen Entscheidungsfindung (Zielbestimmung, Abstimmung, Genehmigung). Hierdurch und weil die Ergebnisse einer SEP stets mit Niederlagen (z. B. für zu schließende Schulen oder hiervon betroffene Stadtteile) und finanziellen Aufwendungen (z. B. für Schulneubau oder eine inklusionsgerechte Ausstattung) verknüpft sind, mobilisiert SEP ein Maß an kommunalpolitischer Öffentlichkeit, die dem DKBM im Normalfall fremd ist. Aber gerade aufgrund der enormen bildungspolitischen Aufmerksamkeit sollte DKBM in SEP-Prozessen ein genuines Aufgabenfeld sehen und hier spezifische Beiträge einbringen, für die es ansonsten kein funktionales Äquivalent in einer Kommune gibt. Moderne Gesellschaften erwarten von ihren Institutionen in großen politischen Fragen (und Schulentwicklung gehört nicht nur wegen ihrer enormen Effekte auf die kommunalen Haushalte dazu) vernünftige Entscheidungen, die auf adäquatem Wissen und entsprechend aussagekräftigen Informationen basieren.8 DKBM könnte (mindestens) in zweierlei Hinsicht als Motor der Rationalisierung in Verfahren der SEP agieren. Erstens durch eine datentechnisch abgesicherte Folgenabschätzung im Hinblick auf bestimmte Zielwerte, die im Wertgerüst einer Bildungskommune verankert sind 10 (z. B. Begrenzung von sozioökonomischen Segregationstendenzen) und hinsichtlich derer die verschiedenen Varianten, die eine SEP als zweckmäßige Maßnahmen ausweist, überprüft werden sollten. Zweitens könnte das DKBM wechselseitige Klärungs- und Verständigungsprozesse zwischen den an SEP-Vorhaben beteiligten Akteur:innen des Bildungswesens anregen. Diese lassen sich z. B. im Rahmen von auf kombinierten Befragungen und Workshops fußenden Austauschforen organisieren. Gerade wenn Bürger:innen und Personen unterschiedlicher sozialer und beruflich-professioneller Herkunft in die SEP einbezogen werden sollen, wären vom DKBM gestaltete Formen der inklusiv-beteiligungsorientierten Beratung und Meinungsbildung ein echter Mehrwert. Das DKBM bietet hier erfolgreich erprobte Instrumente an, um in Planungsprozesse das gesammelte Wissen der verschiedenen Akteur:innen der kommunalen Bildungslandschaften einzubringen, konfliktäre Positionen untereinander auszutauschen sowie Vor- und Nachteile verschiedener Entscheidungsalternativen gemeinsam zu diskutieren. DKBM als Motor von Kooperation und Loyalität gegenüber politischen Beschlüssen In einer zweiten Perspektive schließlich wird DKBM weniger als beobachtende und damit wissensgenerierende Instanz, sondern als loyalitätsfördernde Kraft der kommunalen Bildungssystementwicklung thematisiert. Auch hierin ist ein spezifisches Potenzial der dialogisch-integrierenden Modernisierung der Bildungskommune zu sehen, folgt man den demokratie-theoretischen Überlegungen von Julian Nida-Rümelin.9 Nida-Rümelin geht davon aus, dass „die demokratischen Institutionen dauerhaft nur stabil sind, wenn sie von einem gemeinsam getragenen Ethos der Kooperation getragen werden“10. Ausgangspunkt ist die Annahme, dass innerhalb eines politischen Zusammenhangs zwar über Normen (z. B. das Mehrheitswahlrecht) Entscheidungen produziert werden (z. B. über ein „Kommunales Leitbild Bildung“ oder ein spezielles Programm zur Implementierung des Programms „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ in die kommunale Bildungssystementwicklung), aber die beteiligten Akteur:innen (wie etwa Schulen, Träger der Schulsozialarbeit oder die VHS) nur in Ausnahmefällen mit dem hervorgebrachten Ergebnis unisono übereinstimmen. Das sich dann stellende Problem der Loyalität zu demokratischen Abstimmungsergebnissen könnte zu einem zentralen Gegenstand von DKBM werden. Gerade im Segment des Bildungsmanagements, in welchem die fortwährende Stimulierung von Motivation und Teilnahmeinteresse sicher eine maßgebliche Aufgabe darstellt, hat DKBM sein enormes Potenzial zur Loyalitätsförderung nachgewiesen. Wichtige Mittel hierfür sind Netzwerkmanagement, Bildungskonferenzen oder die Koordination von Projektbausteinen. Auch in SEP-Ver- fahren ist der Kampf gegen die mangelnde Bereitschaft und das nachlassende Durchhaltevermögen bei der Umsetzung demokratisch beschlossener Maßnahmen eine beständige Herausforderung. DKBM ist qua seiner Kompetenz zur partizipativen Inszenierung von Bildungsöffentlichkeit prädestiniert dafür, in Kooperation mit den Akteur:innen der traditionellen Schulverwaltung die Verbindlichkeit demokratischer Entscheidungen zu unterstützen, indem es zur Aufrechterhaltung kooperativer Handlungsstrukturen motiviert. Ausblick: DKBM und SEP als modernisierende Institutionen der dialogisch-integrierenden Bildungskommune Bei allen strukturellen Unterschieden zwischen DKBM und SEP ist beiden Institutionen das Potenzial zur rationalen Modernisierung in Bildungskommunen gemein. Damit ist gemeint, dass Planungsanalysen, Bildungsmonitoring und die öffentlichkeitswirksame Beschreibung von Initiativen und Prozessen des Bildungsmanagements die kommunalpolitische Öffentlichkeit zur auf Dauer gestellten Selbstbeobachtung anhalten und fortlaufende Kommunikationsanlässe liefern. Dabei stimulieren SEP und DKBM die Innovationskräfte einer jeden Bildungskommune, wodurch dialogische Aushandlungen zwischen kommunalen Akteur:innen aus Zivilgesellschaft, Bildungsorganisationen sowie Politik und Verwaltung angeregt werden. SEP und DKBM sind zentrale Integrationsmotoren sich modernisierender Bildungskommunen – eben, weil sie imstande sind, Wissen und Aufmerksamkeit so zu organisieren, dass Dialogstrukturen implementiert, Loyalitäten gefördert und somit Innovationspotenziale zur Umsetzung gebracht werden. Die jüngere Institution des DKBM dürfte hierzu aber nicht in ihrer etwas altersmüden, aber immer noch die für jeden modernisierenden Wandel notwendigen Konfliktenergien freisetzende Schwester SEP aufgehen. Genauso wenig wie DKBM die Funktionen von SEP übernehmen sollte. Statt feindlicher Übernahmen sollten vielmehr integrierte Dialogstrukturen angestrebt werden. Erst kritisch-konstruktive Bezugnahmen zwischen beiden Institutionen lassen, die in jeder Bildungskommune schlummernden Potenziale zur rationalen Legitimierung von Planungsvorhaben und zur loyalitätsförderlichen Kooperation zur vollen Entfaltung gelangen. Womöglich sind die angeführten Bausteine eines im besten Sinne funktionalen DKBM bereits so weit in den Kommunen realisiert, als dass man optimistisch in die Zukunft schauen kann. In jedem Fall tun aber die traditionelle und die moderne Seite der Bildungskommune gut daran, mehr wechselseitiges Interesse an den spezifischen Leistungen beider Institutionen zu zeigen, als es bisher geschehen ist. 11 Quo Vadis SEP und DKBM? Kommunale Schulentwicklungsplanung im Wandel der Zeit Schulentwicklungsplanung (SEP) und datenbasiertes kommunales Bildungsmanagement (DKBM) existieren in der Bundesrepublik Deutschland unterschiedlich lang und verfolgen auf dem Papier unterschiedliche Ziele. Wie Björn Hermstein in seinem vorhergehenden Beitrag aufzeigt, weisen die aktuellen Ansätze zur Weiterentwicklung der SEP sowie die Zielstellungen und Instrumente des DKBM starke programmatische Überschneidungen auf. Die Grafik zeigt überblicksartig die historische Entwicklung beider Instrumente kommunaler Bildungsplanung. Sie verdeutlicht anhand der histori- 1960 Schulentwicklungsplanung (SEP) Bis 1960 Erste Ansätze von SEP SEP findet bis in die 1960er praktisch nicht statt. Ansätze lassen sich beispielsweise in der Ausweisung von Schulbaubereichen in den kommunalen Flächennutzungsplänen erkennen. schen Wegmarken (basierend auf Hermstein 202111 und BMBF 202212), inwieweit sich Elemente des DKBM in einer modernen SEP wiederfinden, und neue Modernisierungsfunktionen anbieten. Dabei handelt es sich um eine idealtypische Darstellung bzw. zusammenfassende Aufbereitung von Entwicklungen und Tendenzen, die sich in der kommunalen Realität in hoher Individualität vollziehen bzw. vollzogen haben. Unsere Darstellung zeigt eine – unvollständige – Zusammenschau der Geschichte und lässt uns mit Blick in die Zukunft neugierig fragen: Quo vadis SEP und DKBM? 1970 1980 1970er Beginn systematischer kommunaler SEP Der „Dortmunder Schulkongress“ im Jahr 1971 kann als Startpunkt für die organisierte SEP angesehen werden. Schulträger bekennen sich zur Mitwirkung an der Reform des Bildungswesens. SEP kann als ein Resultat der Bildungsreform der 1960er und 1970er Jahren aufgefasst werden und steht im Geiste von Chancengleichheit und wirtschaftlicher Entwicklung. Frühe Erfolgsmeldungen zu kommunaler SEP Im Ruhrgebiet konnten durch die SEP innerstädtische Bildungsgefälle von den Arbeiter-Vororten (im Norden) hin zu den „besseren“ Wohngegenden (im Süden) aufgedeckt und öffentlich gemacht werden. Dadurch wurden zahlreiche Anregungen für Schulneugründungen oder innerstädtische Standortverlagerungen angestoßen. Anfängliche Strukturprobleme kommunaler SEP SEP wird nur von wenigen Gemeindeund Kreisverwaltungen umgesetzt. Es fehlt vor allem geeignetes Personal. Die Schulverwaltungsämter sind vorwiegend mit schulaufsichtlichen, finanziellen und bürokratischen Angelegenheiten ausgelastet. Standortplanung wird häufig zwar mit Akribie, jedoch unsystematisch und ohne Kenntnis der neueren Entwicklungen betrieben. 12 1970er bis 1990er Voranschreitende Institutionalisierung von SEP In NRW existieren beispielsweise ab 1973 differenzierte Richtlinien sowie eindeutige Planungsgrundsätze wie ausgeglichene Schulversorgung, Stabilität der Schulangebote, Wirtschaftlichkeit der Schulstandorte. 2014–2023 Bundesweite Transferagenturen als Begleit- und Qualifizierungsstruktur Transferagenturen unterstützen Kommunen deutschlandweit beim Aufbau eines DKBM durch Qualifizierungs- und Vernetzungsangebote. Datenbasiertes kommunales Bildungsmanagement (DKBM) 2005 Empfehlungen zum Aufbau von kommunalen Bildungslandschaften Das BMFSFJ empfiehlt den Aufbau von kommunalen Bildungslandschaften und eine Vernetzung einzelner Bildungsbereiche in einem Gesamtsystem. 1990 2000 1990er Anfänge qualitativer SEP Qualitative SEP stößt öffentlich Aushandlungen über innere Schulreformen an wie z. B. eine stärkere Kooperation zwischen Schule und Jugendhilfe, eine Öffnung der Schule in den Stadtteil, Ansätze interkultureller Pädagogik sowie Demokratisierung (Partizipation). 1990er bis 2000er Neue Ansprüche an SEP und Bildungsplanung Die Bildungskommission in NRW spricht sich 1995 für die Entwicklung von regionalen Bildungslandschaften aus. Dazu gehört eine Öffnung der SEP gegenüber regionalen Rahmenplanungen sowie eine Stärkung der qualitativen Elemente und deren Verknüpfung mit anderen kommunalen Gestaltungsbereichen. In der Aachener (2007) und Münchner (2012) Erklärung des Deutschen Städtetages werden zudem ein umfassender Umbau des Bildungssystems und mehr Gestaltungsmöglichkeiten für kommunale Bildungslandschaften gefordert. 2009–2014 Bundesförderprogram „Lernen vor Ort“ Das Bundesprogramm fördert gemeinsam mit einem Stiftungsverbund 40 Modellkommunen beim Aufbau eines DKBM. Datenbasierung und Systematisierung, ressortübergreifende Steuerung und Kooperation mit nicht-kommunalen Partnern sind die Herausforderungen des Programms. 2010 2015–2021 Bundesförderprogramm „Bildung Integriert“ 130 Kreise und kreisfreie Städte bauen ein DKBM auf und entwickeln vorhandene Strukturen weiter. Zwischen 2015 und 2022 gestalten sie Kooperationsstrukturen und etablieren Steuerungsinstrumente wie ein Bildungsmonitoring. Verbindliche Kooperationen aller Bildungsinstitutionen hat die Bildungsinfrastruktur in den teilnehmenden Kommunen verbessert. 2022–2027 Bundesförderprogramm „Bildungskommunen“ Förderung der weiteren Entwicklung des DKBM in den Kreisen und kreisfreien Städten. Ein weiterer thematischer Schwerpunkt des neuen ESF Plus-Programms „Bildungskommunen“ ist die Etablierung digital-analog vernetzter Bildungslandschaften für das lebensbegleitende Lernen. 2020 Bis heute Quo vadis SEP? Kommunen finden individuell unterschiedliche Ansätze, ihre SEP auf die jeweiligen Herausforderungen auszurichten: Querschnittsaufgabe zwischen Schule und Jugendhilfe werden in einigen Kommunen in Form einer integrierten oder ganzheitlichen SEP zusammengefasst. Die Schaffung von Ganztagsangeboten sowie die UN-Konvention Inklusion beschleunigen diesen Prozess. Qualitätsaspekte spielen eine größere Rolle bei SEP. Es werden unterschiedliche Datenquellen herangezogen, vielfältige Methoden und Verfahren angewendet sowie konkrete Handlungsempfehlungen unterbreitet. SEP erfährt zudem eine stärkere wissenschaftliche Begleitung und wird zum Teil wissenschaftlich evaluiert. Insbesondere die Lösung von zentralen Herausforderungen im Bildungsbereich (bspw. Ganztag und Inklusion) erfordern eine Weiterentwicklung der SEP, um kommunale Schulentwicklung und Bildungslandschaften der Zukunft konstruktiv zu gestalten. 13 KAPITEL 02 Blick in die Praxis Ganzheitliche Schulentwicklungsplanung nach Bielefelder Art „Ganzheitlicher Schulentwicklungsplan 2020 – 2030“ heißt das Ergebnis des Prozesses rund um die Schulentwicklungsplanung (SEP) der ostwestfälischen Großstadt. Dr. Anna Klein und Lutz C. Popp, Team Ganzheitliche Schulentwicklungsplanung im Amt für Schule der Stadt Bielefeld, erzählen im Interview, wie sich der zweijährige Planungsprozess gestaltet hat, vor welchen Herausforderungen sie standen und welche Möglichkeiten sie nutzen konnten. 14 Welche Hintergründe haben zum Prozess des ganzheitlichen Schulentwicklungsplans geführt? Anna Klein: Die Schulentwicklungsplanung unterliegt vielen Anforderungen. Zum Teil ergeben sie sich aus stadtgesellschaftlichen Trends und aus fachlichen und organisatorischen Vorgaben und Standards. Aber auch die breitgefächerten Erwartungen der vielen Akteur:innen in diesem Bereich spielen hier eine große Rolle. „Unter ganzheitlicher Schulentwicklungsplanung verstehen wir einen fortlaufenden Prozess, bei dem Kooperationen mit zahlreichen Akteur:innen und Expert:innen eine große Rolle spielen und die Stadtgesellschaft beteiligt wird.“ Lutz C. Popp Lutz C. Popp: Dazu kommt, dass Bielefelds Stadtbevölkerung seit einigen Jahren wächst. Für das Schuljahr 2025/26 rechnen wir damit, dass im Grundschulbereich die Anzahl der Schülerinnen und Schüler um 2.800 steigen wird. Das ist natürlich eine herausfordernde Entwicklung, die die Stadtverwaltung und die gesamte Bildungslandschaft zum Handeln zwingt. Was ist an der aktuellen Schulentwicklungsplanung anders? Anna Klein: In der Vergangenheit wurde Schulentwicklungsplanung eher anlassbezogen umgesetzt. Es wurden jährlich die quantitativen Prognosen über die Anzahl der Schüler:innen fortgeschrieben und auf politische Anfragen reagiert. Eine mittel- bis langfristige Planung fand kaum statt. Es stand vielmehr die Frage im Vordergrund: Wo brauchen wir in den nächsten Schuljahren wie viele Schulplätze? Im Gegensatz dazu machen wir beim aktuellen Schulentwicklungsplan eine mittel- bis langfristige Perspektive auf: Wo will Bielefeld eigentlich bildungsstrategisch hin? Welche bildungspolitischen Akzente möchte man setzen und was sind geeignete Maßnahmen? Der aktuelle Schulentwicklungsplan setzt hier an und nimmt einmal in klassischer Weise die Schüler:innenzahlen für die Planung der Schulkapazitäten bis zum Jahr 2030 in den Blick. Dazu haben wir uns auch die Bielefelder Schullandschaft u. a. nach Schulformen, Schularten, Orte des gemeinsamen Lernens, die Schulstandorte und Schulgrößen angeschaut. Lutz C. Popp: Der aktuelle Schulentwicklungsplan enthält aber noch sehr viel mehr: So haben wir den Schulraum- „Die Politik hat eingefordert, dass die SEP nicht ausschließlich quantitative Prognosen abbilden soll. Auch zu qualitativen Aspekten, wie pädagogischen Fragen und Herausforderungen, sollen Empfehlungen erarbeitet werden.“ Dr. Anna Klein bestand unter Beteiligung der städtischen Schulen überprüft, kategorisiert und in einer Datenbank zusammengeführt. Wir haben ein neues (Muster-)Raumprogramm für die städtischen allgemeinbildenden Schulen erarbeitet, das auf die Bedarfe inklusiver Ganztagsschulen ausgerichtet ist. Und wir haben kleinräumige bzw. schulformbezogene Prognosen in verschiedenen Varianten durchgeführt, z. B. durch die Berücksichtigung des Schulwahlverhaltens, und die Zusammensetzung der Schüler:innenschaft. Auch die Durchlässigkeit des Bielefelder Schulsystems wurde von uns analysiert. Und mit der Entwicklung eines schulscharfen Sozialindex für alle allgemeinbildenden Schulen haben wir zudem ein granulares, fortschreibungsfähiges Steuerungsinstrument geschaffen, um z. B. Segregationstendenzen bzw. sozialen Belastungen an Schulen passgenauer entgegenwirken zu können. Darüber hinaus haben wir auch einen genaueren Blick auf die Qualität von schulischer Bildung gelegt und die Schulentwicklungsplanung aus pädagogisch-strategischer Perspektive betrachtet. Damit wollten wir vor allem Fragen nachgehen, wie wir im schulischen Bereich Chancengleichheit herstellen können und welche Gestaltungsmöglichkeiten es gibt, um diesen Anspruch zu fördern. Wie wurde die Qualität von schulischer Bildung in den Blick genommen? Anna Klein: Wir haben uns im Schulentwicklungsplan unterschiedliche Themenfelder wie Qualität im Ganztag, Umgang mit Heterogenität, Inklusion, individuelle Förderung und Vermeidung von Segregation angeschaut. Dazu haben wir strategische Ziele entwickelt und Maßnahmen empfohlen. Wir konnten dafür nicht nur das Wissen zur empirischen Situation in Bielefeld heranziehen, sondern auch die aktuellen Erkenntnisse der bildungswissenschaftlichen Fachcommunity einfließen lassen. Außerdem haben wir in einem Beteiligungsprozess die Einschätzungen und das Wissen der Bielefelder Bildungsakteur:innen einbezogen. Während der Erstellung des Schulentwicklungsplans wurden wir zudem von 15 einer Expert:innen-Gruppe beraten, die sich aus Wissenschaftler:innen der Bildungswissenschaft und Expert:innen für Schulbau, Schularchitektur und kommunaler Schulentwicklungsplanung zusammensetzte. Im Schulentwicklungsplan formulieren Sie auch Handlungsempfehlungen. Was ist der Hintergrund dieser Empfehlungen? Lutz C. Popp: Uns war es wichtig, dass der Schulentwicklungsplan aufzeigt, wie wir mit den Entwicklungen im Bielefelder Bildungssystem umgehen können. Denn wir sehen in Bielefeld – wie auch in vielen anderen Großstädten – zwei große Herausforderungen: Der Umgang mit schulischer Heterogenität und zunehmende Segregationsprozesse. So wird beispielsweise ein Viertel der Kinder von ihren Eltern nicht auf der nächstgelegenen Grundschule angemeldet, sondern an Schulen, von denen sich die Eltern bessere Bildungschancen versprechen. Insgesamt sehen wir im Schulentwicklungsplan, dass die Bielefelder Stadtgesellschaft eine hohe Heterogenität aufweist und zahlreiche bildungsrelevante soziale Belastungen an einigen Schulstandorten zusammenwirken: enge Wohnverhältnisse, hohe Hartz-IV-Quoten, hohe Migranten:innen-Anteile, große Familien etc. Anna Klein: Die Ableitung der Handlungsempfehlungen basiert letztlich auf der empirischen Situation in Bielefeld, den Empfehlungen der Expert:innen-Gruppe, den Rückmeldungen aus den Beteiligungsformaten von Bielefelder Bildungsakteur:innen sowie den rechtlichen Rahmenbedingungen. Aus diesem Wissen ergeben sich die von uns formulierten Handlungsempfehlungen, die sich sowohl auf die räumliche, personelle als auch auf sächliche Ausstattungen beziehen. „Die Zusammenarbeit und Expertise der Spezialist:innen war für den Prozess sehr wertvoll. Wir wollten jedes Themenfeld, das wir uns im Schulentwicklungsplan anschauen, mit einer fachlichen Kompetenz besetzen. Und das ist uns auch sehr gut gelungen.“ Lutz C. Popp Für die erwähnten Herausforderungen haben wir dann zum Beispiel empfohlen, Anreize für rhythmisierte Ganztagsangebote zu setzen, die multiprofessionelle Kooperation an Schulen zu stärken, Familiengrundschulzentren an Schulen mit besonderen bildungsrelevanten Belastungen zu gründen und ein Förderzentrum für Inklusion in Bielefeld zu etablieren. Neue Schulen sollten generell als inklusive Ganztagsschulen konzipiert werden – unabhängig von der Schulform. Insgesamt müssen wir aufpassen, dass die Notwendigkeit, neue Schulen zu bauen und mehr Klassen bereitzustellen nicht dazu führt, dass qualitative und pädagogische Themen zu sehr aus dem Blick geraten und abgehängt werden. Wie blicken Sie auf den zweijährigen Prozess zurück? Anna Klein: Der zweijährige Prozess war sehr sportlich: Wir mussten viele Themen abarbeiten, Zwischenberichte Prozess: Ganzheitliche Schulentwicklungsplanung nach Bielefelder Art Beginn Auftrag: Mit den Beschlüssen des Schul- und Sportausschusses der Stadt Bielefeld vom 23.1.2018 und 22.1.2019 wurde die Stadt Bielefeld als Schulträger mit der Erstellung eines Schulentwicklungsplans für die Stadt beauftragt 16 Einrichten eines Stabs „Ganzheitliche Schulentwicklungsplanung“: Im März 2019 wurde zur Bearbeitung des Auftrags ein Stab „Ganzheitliche Schulentwicklungsplanung“ im Amt für Schule mit 1,5 Stellen eingerichtet. Ausrichtung Quantitative SEP: Datenanalyse, Prognosen, Raumbedarfe. Qualitative SEP: Qualität im Ganztag, Inklusion, Segregation / Heterogenität, pädagogisches Raumprogramm. Politische Gremien und Arbeitsgruppen: Zwischenberichte und Diskussion der Zwischenstände im Schulausschuss und politischen sowie verwaltungsinternen Arbeitsgruppen „Ich glaube, dass wir zukunftsweisende Vorschläge für die Bielefelder Schulentwicklungsplanung gemacht haben. Es stellt sich jetzt natürlich die Frage, wie es in die Umsetzung geht.“ professionalisiert werden. Dadurch erhoffen wir uns perspektivisch mehr freie Ressourcen, die wir dann für andere Aspekte der Schulentwicklungsplanung nutzen können – zum Beispiel zur intensiveren Bearbeitung qualitativpädagogischer Themen oder der Weiterentwicklung integrierter Strukturen. Dr. Anna Klein — Weiterführende Informationen erstellen und Beteiligung ermöglichen. In der CoronaPandemie hatten wir zu wenig Zeit und Möglichkeiten, um integrierte Strukturen zu schaffen und uns gut zu vernetzen. Aber wir haben einen ersten Aufschlag einer fortlaufenden, nicht anlassbezogenen und auf Ganzheitlichkeit ausgerichteten Schulentwicklungsplanung hinbekommen. Dass wir uns hierbei rein auf eine strategische mittel- bis langfristige Planung konzentrieren konnten, war dafür sehr hilfreich. Lutz C. Popp: Künftig streben wir im Sinne der Ganzheitlichkeit stärker eine integrierte Planung mit Blick auf Kinder- und Jugendhilfe, Sozialplanung, Verkehrsplanung, Gesundheitsplanung, Umweltplanung etc. an. Und mit dem Ziel genauer, schneller und digitaler zu werden, soll zudem zukünftig die bis dato sehr arbeitsaufwendige Schüler:innenzahlenprognostik durch eine neue Datenbanksoftware und ein verändertes Datenmodell weiter Vorgehen Experten:innengruppe: Kontinuierliche Beratung durch externe Fachleute aus Wissenschaft und Praxis zu den Themen Schulbau, Inklusion, Schulqualität, schulischer Ganztag, Integration, Umgang mit Heterogenität und individuelle Förderung  Ganzheitlicher Schulentwicklungsplan 2020 – 2030 www.bildung-in-bielefeld.de Der „Ganzheitliche Schulentwicklungsplan 2020 – 2030“ ist online als PDF verfügbar unter: https://kurzelinks.de/a374 Praxisbeispiel Bielefeld im Rahmen des Großstadtnetzwerks „Kommunale Schulentwicklungsplanung – Steuerungsmöglichkeiten in Zeiten wachsender Großstädte“ am 9.12.2021 https://kurzelinks.de/ou6e Ergebnis Beteiligung durch Themenforen: Breite Beteiligung der Bielefelder Bildungsakteur:innen in Themenforen zum Ganztag und zur Inklusion. Das Themenforum zur Segregation war für Anfang Mai 2020 geplant und musste aufgrund der Coronapandemie leider ausfallen. Aufarbeitung der Ergebnisse in eigenen Teilkapiteln im Schulentwicklungsplan Verschriftlichen der Ergebnisse und Ableiten von Handlungsempfehlungen: z. B. Ganztag: Anreize für rhythmisierten Ganztag an Grundschulen z. B. Inklusion: Gründung eines Förderzentrums / Beratungszentrums für Bielefeld z. B. Segregation: Einrichten von Familiengrundschulzentren an allen Grundschulen mit hohen bildungsrelevanten sozialen Belastungen Veröffentlichung und Beschluss: Der Ganzheitliche Schulentwicklungsplan wurde am 2.6.2021 vom Schul- und Sportausschuss der Stadt Bielefeld als Arbeitsgrundlage der Verwaltung“ beschlossen, jedoch unter Vorbehalt der Zustimmung zu den einzelnen empfohlenen Maßnahmen. 17 G E RPU NK T AG ANZT SCHW Partizipation als Schlüssel? Integrierte Schulentwicklungsplanung und Gesamtkonzept Ganztag in Frankfurt am Main Schulen werden als Lern- und Lebensorte immer wichtiger und übernehmen zunehmend Aufgaben über ihren „klassischen“ pädagogischen Auftrag hinaus. Seit 2006 ist in Frankfurt a. M. die Zuständigkeit für die schulische Jugendhilfe mit den Schulträgeraufgaben verbunden. Außerdem ist das Stadtschulamt seit Jahrzehnten auch Träger der öffentlichen Jugendhilfe und damit zuständig für den Bereich Kindertagesbetreuung. Angesichts der komplexen Herausforderungen, vor denen Schulen stehen, hat sich die Stadt im Jahr 2014 unter dem Namen „Frankfurt macht Schule“ auf den Weg gemacht, die Schulentwicklungsplanung integriert und beteiligungsorientiert aufzustellen und an die kooperativen Verwaltungsstrukturen anzuknüpfen. Im Jahr 2019 kam das Gesamtkonzept Ganztag hinzu. Monika Ripperger, Leiterin der Stabsstelle Pädagogische Grundsatzplanung beim Stadtschulamt Frankfurt a. M., und Maren Hullen, Bildungsplanerin der Stabsstelle Pädagogische Grundsatzplanung Stadtschulamt Frankfurt a. M., haben der Transferagentur für Großstädte den Ansatz Frankfurts vorgestellt, Schulentwicklungsplanung und die Planungen zum Ganztag integrativ und partizipativ zu gestalten. Ein neuer Ansatz: beteiligungsorientierte integrierte Schulentwicklungsplanung Mit dem partizipativen Prozess „Frankfurt macht Schule“ hat die Stadt im Jahr 2014 begonnen, die Jugendhilfe- und Schulentwicklungsplanung miteinander zu verbinden. Dazu wurden zuerst sonderpädagogische Angebote sowie Jugendhilfeangebote am Ort Schule mit in die Schulentwicklungsplanung integriert und diese um andere weichere Querschnittsthemen im Bildungsbereich erweitert. „Als Schulträger haben wir uns nicht nur das klassische Feld der Schulorganisationsmaßnahmen nach dem hessischen Schulgesetz angeschaut, sondern auch Themen wie Ganztag, Kommunikation, Beteiligung, Übergänge und Inklusion einbezogen und sind damit weit über die klassische Zuständigkeit eines Schulverwaltungsamtes hinausgegangen“, berichtet Maren Hullen. Zudem stellt der neue Ansatz Partizipation und Dialog in den Mittelpunkt, um ein qualitativ hochwertiges Schulangebot zu gewährleisten. „Schulentwicklungsplanung funktioniert dann 18 gut, wenn das Wissen der Menschen vor Ort einbezogen wird“, erklärt Maren Hullen. Eltern, Lehrkräfte, Politik, Wissenschaft und viele weitere, die an Schule beteiligt sind, konnten ihre Ideen und Wünsche einbringen, um Frankfurter Schulen für die Zukunft gut aufzustellen. Leitprinzipien der Schulentwicklungsplanung „Mit dem integrierten Schulentwicklungsplan wurde nicht nur quantitativ auf die vielfältigen Herausforderungen reagiert, sondern auch qualitative Themen in den Fokus genommen“, führt Maren Hullen weiter aus. Dies spiegeln die drei Leitprinzipien wider, die im Mittelpunkt des Schulentwicklungsplans stehen: vom Kind aus denken – Regionalisierung – Vielfalt. Im Kern zielen die integrierte Schulentwicklungsplanung und somit alle organisatorischen und politischen Maßnahmen darauf ab, das Wohl der Kinder und ihre Bildungschancen und Möglichkeiten in der Schule zu verbessern. Im Schulentwicklungsplan sind neun Gestaltungsfelder (u. a. Regionalisierung, Infrastruktur, Inklusion, Ganztag, Übergänge) identifiziert worden, die in sechs festgelegten Bildungsregionen innerhalb der Stadt umgesetzt werden. „Wir arbeiten aktiv mit den Akteurinnen und Akteuren in den Bildungsregionen zusammen, um z. B. Rückmeldungen zu den Maßnahmen zu erhalten, die sich nicht rein aus den Zahlen ableiten lassen“, beschreibt Maren Hullen das Vorgehen. Sie betont, dass konkrete Handlungsstrategien nur im gemeinsamen Dialog entwickelt werden können. Ohne den sozialräumlichen Austausch würde ein Schulentwicklungsplan Gefahr laufen, nicht in die Praxis umgesetzt zu werden. „In Frankfurt wird angewandte Schulentwicklungsplanung mit den Menschen vor Ort gemacht, sonst wäre es ja nur ein wissenschaftliches Werk, das im Zweifel in der Schublade landet“, bringt es Maren Hullen auf den Punkt. „Schulentwicklungsplanung funktioniert dann gut, wenn das Wissen der Menschen vor Ort einbezogen wird.“ Maren Hullen Die beteiligungsorientierte Praxis hat sich in Frankfurt bewährt. In diesem Jahr ist ein weiterer Dialogprozess zum Gesamtsystem von Bildung, Erziehung und Betreuung geplant, der qualitative Themen der Kindertagesbetreuung und des Ganztages aufnimmt und sie mit den Gestaltungsfeldern der integrierten Schulentwicklungsplanung verknüpft. 19 Auf guten Erfahrungen aufbauen: Gesamtkonzept Ganztag Auch für die Entwicklung des Gesamtkonzepts „Ganztägig arbeitende Grundschulen“ hat Frankfurt einen Beteiligungsprozess aufgesetzt, der im Februar 2019 begonnen hat. Er baut auf den guten Erfahrungen aus der integrierten Schulentwicklungsplanung auf und schließt in Form und Inhalt daran an. Wichtige Ziele und Maßnahmen wurden dazu bereits im Gestaltungsfeld Ganztag des integrierten Schulentwicklungsplans beschrieben. „In Frankfurt existierte ein bunter Blumenstrauß von Formaten im Bereich Ganztag. Wir wollten die verschiedenen Formate zu einem Gesamtkonzept zusammenführen, um das Angebot überschaubarer zu gestalten und ein einheitliches Ganztagsprogramm für die Stadt Frankfurt zu entwickeln“, erzählt Monika Ripperger. „Wir haben eine gewisse Routine bei Beteiligungsprozessen entwickelt.“ Monika Ripperger Im Gesamtkonzept Ganztag hat sich Frankfurt zum Ziel gesetzt, bis zum Jahr 2025 an über 90 Prozent der Grundschulen ein Ganztagsangebot sicherzustellen. Die Schaffung ausreichender Plätze ist jedoch nur ein kleiner Teil des Gesamtkonzeptes. Frankfurt strebt an, nicht nur den quantitativen Mehrbedarfen an Ganztagsplätzen gerecht zu werden, sondern auch unterschiedliche Maßnahmen anzubieten, um einen qualitativ hochwertigen Ganztag gewährleisten zu können. Der Beteiligungsprozess war darauf ausgerichtet und hat viele Impulse geliefert. „Wir haben eine gewisse Routine bei Beteiligungsprozessen entwickelt“, stellt Monika Ripperger fest. Im Mittelpunkt standen thematische Werkräume, in denen unterschiedliche Akteur:innen verschiedene Gestaltungsfelder für den Ganztag entwickelt und sich gegenseitig über Herausforderungen und Ziele ausgetauscht haben. „Aufbauend auf den drei Leitprinzipien, die auch bereits im Schulentwicklungsplan im Mittelpunkt standen, wurden Maßnahmen erarbeitet, um einen guten Ganztag umzusetzen“, erklärt Monika Ripperger. Die Perspektive von Kindern wurde in dem Prozess gezielt aufgenommen. An drei Frankfurter Grundschulen wurden Kinder befragt – zu ihren Erfahrungen in der Ganztagsschule und zu ihren Wünschen, die sie an einen guten Ganztag haben. Außerdem konnte sich der Stadtelternbeirat einbringen, um Chancen und Herausforderungen der Ganztagsplanungen zu reflektieren. Ein zentraler Schwerpunkt ist, dass sich Schule gegenüber den Bildungsquartieren öffnet und formale, non-formale sowie informelle Bildungsbereiche für einen guten Ganztag ineinandergreifen. Bei der Umsetzung müssen Schule und Quartier fortlaufend unterstützt werden. Dies setzt eine enge Kooperation von Schule, Horteinrichtungen und weiteren Akteur:innen aus dem Bildungsquartier voraus: „Das ist die Königsklasse des Ganztages“, stellt Monika Ripperger 20 fest. Im Gesamtkonzept Ganztag wird dieser Herausforderung Rechnung getragen. Auch deshalb nehmen neun Grundschulen an einer Pilotphase teil, in der die Praxistauglichkeit der einzelnen Maßnahmen vorab getestet wird und die Grundschulen dabei kontinuierlich Unterstützung erhalten. Ausblick: Planungsprozesse im Bereich Bildung im stetigen Wandel aber immer partizipativ In Frankfurt wird Schulentwicklungsplanung als ein fluider Prozess verstanden, bei dem die gewählten Methoden, die erhobenen Daten und vereinbarten Ziele fortlaufend hinterfragt werden. Gute Schulentwicklungsplanung basiert nicht nur auf statistischen Erhebungen, sondern lebt durch die Beteiligung der Menschen in den Quartieren vor Ort. Auf große Herausforderungen wie den Rechtsanspruch auf Ganztagbetreuung an Grundschulen ist man auch deshalb gut vorbereitet. Das Wissen und die guten Erfahrungen, die durch die kooperativ-partizipativ und integrative Ausrichtung der Schulentwicklungsplanung bereits gesammelt wurden, waren die Grundlage für das Gesamtkonzept Ganztag. In Frankfurt folgt die Schulentwicklungsplanung einem klaren Kompass und der wird nicht durch die Verwaltung vorgegeben, sondern richtet sich nach den Wünschen und Lebensrealitäten der Kinder und Jugendlichen vor Ort: „Wir müssen sinnvolle Instrumente der Beteiligung finden, um die richtigen Fragen zu stellen. Dabei ist es wichtig, diese Instrumente mit Daten gut zu unterfüttern. Das führt zu guten Beschlüssen und schließlich zu guten Prozessen mit den Menschen“, erklärt Monika Ripperger. Der nächste Schritt ist bereits geplant: „Jetzt machen wir den nächsten Dialogprozess und fassen auch die Kita-Entwicklungsplanung mit der integrierten Schulentwicklungsplanung zusammen“, sagt Maren Hullen mit Blick auf den weiteren Verlauf. Es bleibt also spannend in Frankfurt und man darf neugierig auf die weiteren Entwicklungen der Stadt schauen. — Weiterführende Informationen Gesamtkonzept ganztägig arbeitende Grundschulen. Stadt Frankfurt am Main (2020) https://kurzelinks.de/di64 Frankfurt macht Schule (iSEP) https://www.isep.frankfurt-macht-schule.de 21 E RPU NK T TAG Z N A G SCHW Integrierte Bildungs- und Jugendhilfeplanung in Dortmund In Dortmund werden seit einigen Jahren die unterschiedlichen Verantwortungsbereiche von Bildung zusammengedacht. Seit 2018 verfolgt die Stadt den Aufbau einer integrierten Planung des Bildungs- und Jugendhilfebereichs. Ziel ist es, den vielfältigen Herausforderungen entlang der Schnittstellen gemeinsam zu begegnen, wie z. B. dem Ausbau der Ganztagsversorgung. Vor allem im Bereich Ganztag ist die ressortübergreifende Planung zwischen den beiden Systemen Bildung und Jugendhilfe ein wichtiger Gelingensfaktor. Das nordrhein-westfälische Schulgesetz hat die Zusammenarbeit zwischen Schule und Jugendhilfe zu einem leitenden Prinzip erhoben, das besonders bei der Gestaltung des offenen Ganztags relevant ist. Der Dortmunder Prozess ist ein positives Beispiel, wie dieses Prinzip angewendet wird. Insbesondere die Zusammenarbeit unterschiedlicher Systeme und Strukturansätze, wie z. B. das DKBM und die SEP, sind zentrale Elemente, um Herausforderungen wie den Rechtsanspruch auf Ganztagbetreuung quantitativ und qualitativ gut umzusetzen. Christina Luchmann und Sabine Köhler von der Stabsstelle im Fachbereich Schule der Stadt Dortmund, zuständig für Integrierte Bildungsplanung und kommunale Bildungskoordination, haben uns im Gespräch den Dortmunder Prozess vorgestellt. Bildungsplanung im Wandel Ausgangspunkt für die Neuausrichtung war, dass „auf allen Ebenen der Bedarf einer vertieften Zusammenarbeit geäußert wurde“, berichtet Christina Luchmann. Angestoßen von der Dezernentin für Schule, Jugend und Familie werden seit 2018 unterschiedliche Planungen aus dem Fachbereich Schule, Jugendamt und dem städtischen Kita-Träger FABIDO im Aufbau einer integrierten Bildungs- und Jugendhilfeplanung stärker miteinander verzahnt. Christina Luchmann stellt fest, dass die Erfahrungen und Kenntnisse aus dem parallellaufenden Bundesprogramm „Bildung integriert“ für den Aufbau sehr hilfreich gewesen seien. Um eine gemeinsame Datenbasis als Grundlage gemeinsamer Steuerungs- und Planungsprozesse zu schaffen, konnte man auf die im Rahmen von „Bildung integriert“ entwickelten Monitoring-Instrumente im Sinne des datenbasierten kommunalen Bildungsmanagements (DKBM) zurückgreifen. Hierdurch konnten erstmals Daten, die bisher in verschiedenen Zuständigkeitsbereichen lagen, in dezernatsübergreifender Zusammenarbeit für ein integriertes Monitoring 22 zusammengeführt und aufbereitet werden. Das Denken in integrierten Planungsprozessen und vor allem ein umfassendes Bildungsverständnis als wesentliche Bestandteile des Bundesprogramms zahlen auf das kommunale Vorhaben ein. Dazu gehört auch die Schulentwicklungsplanung (SEP), die in diesem Prozess eingebunden ist und durch die systematische Erfassung von Daten einen wichtigen Beitrag leistet und gleichzeitig mitprofitieren kann. „Die Schulentwicklungsplanung überarbeitet stetig ihre Instrumente und passt sich neuen Herausforderungen im Bildungssystem an, beispielsweise in der Prognose der Schüler:innenzahl oder Überarbeitung der Instrumente für die Einzugsgebiete“, betont Christina Luchmann. Grundlegendes Planungskonzept und praktische Umsetzung Die Projektleitung und Geschäftsführung der integrierten Bildungs- und Jugendhilfeplanung werden wechselseitig übernommen: von 2020 bis Ende 2021 zunächst vom Fachbereich Schule und seit 2022 vom Jugendamt. Ein zentraler Prozessschritt war die Entwicklung eines Planungskonzepts auf strategischer Ebene, in welchem Grundsätze des integrierten Handelns festgelegt wurden: 1. Schaffung einer gemeinsamen Datenbasis 2. Kooperative, sozialraumorientierte Bedarfsanalysen und Entwicklungen von Maßnahmen 3. Gemeinsame strategische Zielsteuerung und Koordinationsstrukturen Derzeit liegt die zentrale Herausforderung darin, diese strategisch festgelegten Bausteine praktisch umzusetzen, parallele Strukturen miteinander zu verbinden und durch konkrete Vorhaben mit Leben zu füllen. „Dieser Prozess ist noch nicht abgeschlossen und bei der Verzahnung der einzelnen Arbeitsbereiche muss immer wieder nachjustiert werden. Deshalb wurde für den Aufbau der integrierten Bildungs- und Jugendhilfeplanung ein Modellprozess initiiert“, erklärt Christina Luchmann. Innerhalb eines ausgewiesenen Sozialraums wurde eine operative Vorgehensweise erprobt, die dann in den gesamten Planungsprozesses einfließen soll. Unter anderem wird im Modellprozess das Instrument der beteiligenden Sozialraumanalyse angewendet, um quantitative Daten mit (sozialräumlichen) Fachwissen der Akteur:innen zu verbinden. Dies soll die Entwicklung und die Verabredung gemeinsamer Maßnahmen und Handlungsempfehlungen ermöglichen. Für die Zukunft wird angestrebt, auch Instrumente der Zielgruppenbeteiligung zu entwickeln, um Kinder, Jugendliche und deren Familien in die Planungsprozesse einzubinden. „Wenn wir eine integrierte Planung aufbauen, machen wir das nicht am grünen Tisch, sondern sprechen sowohl mit unterschiedlichen Akteurinnen und Akteuren aus dem Bildungsbereich als auch mit Bürgerinnen und Bürgern“, betont Christina Luchmann. Ganztag als Herausforderung und Chance Der Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung an Grundschulen stellt Dortmund – so wie viele andere Kommunen auch – vor große Herausforderungen in Hinblick auf den Fachkräftemangel und Raumknappheit, aber auch zu Fragen zur Finanzierung und pädagogischer Qualität. „Durch die integrierte Bildungs- und Jugendhilfeplanung entstehen etablierte Strukturen der Zusammenarbeit auf den Ebenen der Amtsleitungen aber auch der Planung, die fähig sind, ein so herausforderndes Thema noch zielgerichteter als bisher zu bearbeiten“, sagt Sabine Köhler. Auf diesen Strukturen aufbauend, sind für die Planungen im Bereich Offener Ganztag weitere Akteur:innen relevant, wie z. B. Träger von Jugendhilfeangeboten und weitere Ämter der Stadtverwaltung wie die städtische Immobilienwirtschaft. Für die Umsetzung des Rechtsanspruchs auf einen ganztägigen Betreuungsplatz wurde auf strategischer Ebene ein Steuerkreis „Ausbau Offener Ganztag (OGS) in Dortmund“ eingerichtet. Geleitet durch die Dezernentin sollen die Weichen auf Amtsleitungsund Geschäftsführungsebene aller beteiligten Fachämter und Trägervertretungen für eine erfolgreiche Umsetzung des Rechtsanspruchs gestellt werden. Auf Planungsebene wurde daher die Einrichtung von drei Arbeitsgemeinschaften beschlossen, die sich mit den Kernthemen des Offenen Ganztags beschäftigen: • AG 1 Raum / Raumkonzepte / Infrastruktur • AG 2 Fachkräfteakquise • AG 3 Qualitätsentwicklung „Für Herausforderungen wie die Umsetzung des Rechtsanspruchs im schulischen Ganztag brauchen wir diese erweiterte Form der Abstimmung und Zusammenarbeit“, betont Sabine Köhler. In Dortmund zeigt sich, wie eine vernetzte, datenbasierte und strategisch ausgerichtete Bildungs- und Jugendhilfeplanung stetig weiterentwickelt werden muss, um die Herausforderungen im Bildungsbereich vor Ort zu meistern. Mit den Erfahrungen aus dem DKBM, der SEP sowie der integrierten Bildungs- und Jugendhilfeplanung ist Dortmund auf einem guten Weg, den Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung an Grundschulen erfolgreich und qualitativ hochwertig umzusetzen. Die Motivation den Rechtsanspruch auf Ganztag als Chance wahrzunehmen, den großen Bildungszielen ganzheitliches Bildungsverständnis und Bildungsgerechtigkeit ein Stück näher zu kommen, ist auf jeden Fall vorhanden: „Ich wünsche mir wirklich sehr, dass es uns gelingt, den Rechtsanspruch auf Ganztag als Chance zu nutzen, das Kind mit seiner Familie in den Mittelpunkt zu stellen und als Verantwortungsgemeinschaft drumherum ein passgenaues Förderungs- und Unterstützungssystem aufzubauen“, stellt Sabine Köhler abschließend fest. 23 KAPITEL 03 Externe Begleitung Wissenschaft trifft Praxis: „Manchmal braucht es einfach eine Vogelperspektive“ Dr. Anna M. Makles ist Gründungsmitglied des Wuppertaler Instituts für bildungsökonomische Forschung (WIB) an der Universität Wuppertal. Sie ist dort stellvertretende Vorstandsvorsitzende und Projektleiterin verschiedener Projekte, u. a. rund um Fragen der kommunalen Schulentwicklungsplanung. Darüber hinaus ist sie im Bereich der kommunalen und politischen Bildungsberatung aktiv. Im Interview berichtet sie von ihren Erfahrungen der externen Begleitung von Kommunen in der kommunalen Schulentwicklungsplanung. 24 Dr. Anna M. Makles (links) zusammen mit der Institutsleiterin und Vorstandsvorsitzenden Prof. Kerstin Schneider Sie sind in der bildungsökonomischen Forschung aktiv und somit Wissenschaftlerin. Gleichzeitig beraten Sie Kommunen in bildungspolitischen Fragen, speziell auch im Bereich der kommunalen Schulentwicklungsplanung. Sie betreiben also auch Forschungstransfer in die „reale Welt“. Verstehen Sie sich eher als Wissenschaftlerin oder als Beraterin? Anders als häufig gedacht, ist die Bildungsökonomik mehr als nur die Evaluation von Kosten und Erträgen im Bildungssektor. Im Mittelpunkt unserer Arbeit stehen Fragen, wie sich Bildung, Bildungsprozesse und Bildungspolitik auf eine Gesellschaft auswirken. Wir wollen also auch Kommunen aktiv bei ihrer Gestaltung von (Bildungs-)Politik wissenschaftlich begleiten und beraten. Die Arbeit mit den unterschiedlichen Akteur:innen in einer Kommune bringen daher auch andere Fähigkeiten in der Prozessbegleitung mit sich, als zum Beispiel Forschungsergebnisse als Paper zu publizieren und auf einer wissenschaftlichen Konferenz zu präsentieren. Wir müssen unsere Ergebnisse in der Zusammenarbeit mit Verwaltung in eine kommunalpolitische Sprache übersetzen und bei der Umsetzung beraten. In meiner Begleitung von Kommunen bin ich daher beides: Wissenschaftlerin und Beraterin. Hat sich im Laufe der Zeit Ihr Transferverständnis verändert? Ja, das hat sich definitiv verändert. Aber nicht nur das. Auch die Transferkontexte haben sich verändert. Viele Kommunen sind mittlerweile multiprofessionell aufgestellt und haben Strukturen der Kooperation etabliert. Außerdem rezipieren und nutzen sie verstärkt wissenschaftliche Erkenntnisse und datenbasierte Grundlagen. Und sie möchten und müssen ihre Bildungspolitik gestalten, wollen proaktiv agieren, auch weil sich das Anspruchsverhalten mit Blick auf Teilhabe und Mitgestaltung von kommunaler Schulentwicklungsplanung verändert hat. Und deshalb ist wissenschaftlicher Transfer so wichtig und wird auch immer wichtiger. Wir müssen unsere Ergebnisse aber auch anders vermitteln. Unsere Erkenntnisse und Empfehlungen müssen am Ende des Tages für Nicht-Wissenschaftler:innen verständlich und nachvollziehbar sein. Transferarbeit ist eben nicht etwas, was im wissenschaftlichen Elfenbein- turm passiert und dort auch bleibt. Wir zeigen durch unsere Art und Weise der Zusammenarbeit, wie wir an solche Projekte herangehen. Das wir in der Lage sind, aktuelle wissenschaftliche Methoden und Erkenntnisse auf die Welt vor Ort in der Kommune anzuwenden. Wir können uns als Wissenschaftler:innen die tollsten Prozesse und Methoden überlegen und neu entwickeln. Aber wenn es am Ende für die Anwender:innen und Nutzer:innen nicht umsetzbar ist, dann werden die Ergebnisse auch nicht als Entscheidungsgrundlage verwendet – und das ist natürlich nicht unser Ziel. Wir wollen die Bildungslandschaften durch unsere Ergebnisse mitgestalten und Potenziale bei den Abläufen heben. Wie kann man sich Ihre Arbeit vor Ort in der Kommune vorstellen? In der Regel beginnt es so, dass wir mit der Kommune in einem gemeinsamen Vorgespräch herausfinden, was der konkrete Auftrag ist. Selbst wenn wir uns auf Ausschreibungen eines Prozesses in der kommunalen Schulentwicklungsplanung bewerben, ist der auftraggebenden Kommune nicht immer vorab klar, worum es ihr konkret geht bzw. was konkret am Ende des Prozesses stehen soll. Wir als Wissenschaft sind also auch „Sokratische Hebamme“. Geht es vielleicht nur darum, bestimmte Aspekte an kleineren Stellschrauben zu verändern? Oder geht es darum, auf die gesamten Prozesse einer Schulentwicklungsplanung zu schauen? Daran orientiert sich, wie wir weiter vorgehen und wie sich unsere weitere Arbeit gestaltet. Ganz wichtig ist uns aber die Art und Weise der Zusammenarbeit – vom ersten Auftaktgespräch bis zur Abgabe eines Berichts, z. B. eines Schulentwicklungsplans. Die Zusammenarbeit sollte immer kooperativ sein und in einen stetigen Austausch im Prozess münden. Unsere Arbeit erfordert eine offene, ehrliche und regelmäßige Kommunikation im gesamten Prozess, und manchmal auch darüber hinaus. Dieser Aspekt der Spiegelung, der Rückkopplung ist besonders wichtig. Ansonsten besteht die Gefahr, dass man einen Bericht abgibt, der dann in der Schublade landet, weil keiner etwas damit anfangen kann. Was einem der Bericht eigentlich sagen soll, oder wie daraus steuerungsrelevantes Wissen entstehen kann. Was ist denn jetzt die Handlungsempfehlung für mich als Kommune? Was soll konkret gemacht werden? 25 21 Das sind Unklarheiten, die wir auf keinen Fall wollen. Wir schreiben in diesem Kontext ja keine wissenschaftlichen Publikationen und wir schreiben auch sicherlich keine Gutachten für die Schublade. Wir erarbeiten Ergebnisse, auf deren Basis die Bildungsverwaltung ihre Schul- und Bildungslandschaft hoffentlich besser gestalten kann. Und wie geht es nach der gemeinsamen Schärfung des Auftrags weiter? Nach der Auftragsklärung sammeln wir Daten, Wissen und Informationen. Man kann sich uns wirklich wie eine Daten-Krake vorstellen. Wir bekommen ganz viele empirische Auswertungen, wie die Schulentwicklungsplanung bisher abgelaufen ist und welche Daten und weitere Informationen verwendet wurden. Informationen darüber, wie bisherige Prozesse abgelaufen sind und wie und ob die Schulentwicklungsplanung umgesetzt wird. Mit dieser Grundlage im Gepäck entwickeln wir unsere Analysen und Handlungsempfehlungen. Wir schauen uns zum Beispiel die Schüler:innenprognosen im Zeitverlauf an, wie sie bisher durchgeführt wurden und wie sich die Bildungslandschaft in der jeweiligen Kommune verändert hat. Besonders wichtig dabei ist auch, die rechtlichen Rahmenbedingungen im Blick zu behalten, die von Bundesland zu Bundesland sehr unterschiedlich sind – auch hinsichtlich der großen Themen wie Inklusion oder auch Aspekte des Ganztags. Mit diesen Analysen versuchen wir dann aufzuzeigen, wo Potenziale liegen und wie diese gehoben werden können. Wir haben auch schon Vorschläge für eine komplette Umgestaltung oder Neuaufstellung der Schulentwicklungsplanung gemacht. Alle Schritte im Prozess laufen immer in Rückkopplung mit den Auftraggebenden und den vielen Akteur:innen einer Kommune, wie z. B. Schulträger, Schulamt, Schulverwaltungsamt, politische Akteur:innen und Gremien, Elternvertretungen. Denn uns ist immer wichtig, allen Beteiligten den Fortschritt darzulegen und mit ihnen zu reflektieren. Welche Herausforderungen begegnen Ihnen in Ihrer Arbeit mit den Kommunen im Bereich der kommunalen Schulentwicklungsplanung? Eine große Herausforderung in diesem Themenfeld ist immer die Zusammenarbeit mit den unterschiedlichsten Akteur:innen. Natürlich gibt es einen Auftraggebenden, zum Beispiel die Fachabteilung beim Schulträger. Aber es ist ja klar, dass das nicht der einzige Beteiligte ist, der hinter so einer Schulentwicklungsplanung steckt. Die Entscheidung, die Schulentwicklungsplanung wissenschaftlich begleiten zu lassen und durch uns Input aus der Vogelperspektive zu erhalten, wird von vielen 26 Akteur:innen und der Politik getroffen und da hängen ganz oft auch groß angelegte Beteiligungsprozesse mit Eltern- und Schulvertretungen dahinter. Eine weitere Herausforderung, die sich aus der Tatsache ergibt, dass wir empirisch arbeiten, ist folgende: Es kommt immer wieder vor, dass wir den Kommunen oder den Auftraggebern deutlich machen müssen, wie wichtig eine konsistente und vor allem zentrale Datenhaltung ist. Es ist kein Vorteil, wenn, überspitzt gesagt, jede Kennzahl, jede Information, jeder Datenaspekt bei jeweils einer anderen Organisationseinheit oder Person liegt. Vielmehr sollte fundamentales Wissen für alle verfügbar sein. Wichtige Daten zur kommunalen Schulentwicklung sollten an einer oder möglichst wenigen Stellen zusammengestellt und von einer Stelle auch auf Plausibilität und Konsistenz geprüft werden. Wir sind also auch ein wenig Augenöffner für andere Sicht- und Herangehensweisen. Das ist aber von den Akteur:innen, mit denen wir bisher zusammengearbeitet haben, auch gewünscht gewesen. Wir nehmen bei unserer Arbeit eine große Neugierde wahr, neue Potenziale zu heben und neue Wege auszuprobieren. Blick in die Glaskugel: Wo sehen Sie die kommunale Schulentwicklungsplanung in zehn Jahren? Das ist natürlich nur schwer zu sagen, denn die Kommunen in den einzelnen Bundesländern sind in ihren Ausgangslagen sehr unterschiedlich. Wir haben sehr viele Kommunen in einer sehr schwierigen Haushaltslage, sodass zum Beispiel die Schulentwicklungsplanung leider häufig noch mehr oder weniger „mit der heißen Nadel gestrickt“ wird, weil es eben eine Pflichtaufgabe ist. Andere Kommunen gehen neue Wege, sind als Vorreiterinnen unterwegs und zeigen, dass man kommunale Schulentwicklungsplanung auch anders machen kann – nämlich integriert, beteiligungsorientiert und ganzheitlich, von den Schüler:innen aus gedacht. Ich beobachte durchaus, dass gerade die kreativeren Kommunen, aber auch die mit mehr Ressourcen und Möglichkeiten, die Schulentwicklungsplanung immer mehr in diese Richtung weiterentwickeln. Auch das Monitoring, als Grundlage für die Steuerung der Schul- und der Bildungslandschaft, wird immer wichtiger werden. 27 Fazit – DKBM als „Modernisierungsprogramm“ der SEP Die Beiträge dieses Themendossiers zeigen, wie sich die kommunale Schulentwicklungsplanung in deutschen Großstädten seit den 90er Jahren weiterentwickelt hat bzw. weiterentwickeln lässt und welche Rolle dabei auch Elemente des DKBM im Sinne einer „Modernisierungsfunktion“ spielen können. Aufgrund der programmatschen Nähe zwischen den beiden Ansätzen hat bzw. kann das DKBM die Entwicklung von eher „klassischen“ Schulentwicklungsplanungen hin zu „modernen“ Ansätzen unterstützen. Insbesondere vor dem Hintergrund der beschriebenen Komplexität aktueller Herausforderungen (Wachstum Schüler:innenzahlen, Ganztag, Inklusion etc.) zeigen die Beiträge des Themendossiers, welche Ansätze, Instrumente, Methoden etc. das DKBM hier der kommunalen Schulentwicklungsplanung zur Weitentwicklung anbietet. Das folgende Schaubild fasst diese zentralen Erkenntnisse der Beiträge des Themendossiers abschließend schematisch-idealtypisch als Grafik zusammen. 28 Seit 2009 werden in den „Modellkommunen“ der Förderprogramme viele Erfahrungen mit den zentralen Ansätzen und Instrumenten des DKBM gewonnen. Sie bieten eine Vielzahl an Anknüpfungspunkten für die Weiterentwicklung der kommunalen Schulentwicklungsplanung in Deutschland. Insbesondere sind hierzu die folgenden Instrumente zu zählen: Bildungsmonitoring bzw. Datenbasierung Ressortübergreifende Koordination Sowohl die Datenbasierung von Planungs- und Steuerungsprozessen als auch der Aufbau von Facheinheiten für Bildungsmonitoring – und die damit verbundene Arbeit an kommunalen Bildungsberichten – haben zur Entwicklung einer Vielzahl von erfolgreichen Methoden und Instrumenten geführt. Diese bieten zahlreiche Ansätze für den Aufbau eines umfassenden Monitorings, die Weiterentwicklung des Prognose-Instrumentariums sowie eines grundlegend datenbasierten Planungsprozesses, bspw. bei der Entwicklung von Handlungsempfehlungen. Der Aufbau von Bildungsbüros und Stabsstellen für Bildungsmanagement hat u. a. zum Ziel, ressortübergreifende Planungs- und Steuerungsprozesse zu unterstützen. Sie bieten ein umfassendes Erfahrungswissen zu Instrumenten und Prozessen der Koordination bzw. der erfolgreichen Gestaltung von integrierten Planungsprozessen. Dies bezieht sich insbesondere auch auf die Schnittstelle der Fachbereiche Schule und Jugend, die für die SEP so wichtig ist. Auch die strategische Ausrichtung solcher Prozesse entlang kommunaler Bildungsziele steht im Fokus der Bemühungen des kommunalen Bildungsmanagements um Weiterentwicklung der kommunalen Steuerungsstrukturen im Bildungsbereich. Beteiligung von Akteur:innen der regionalen Bildungslandschaften Externe Begleitung Ein zentraler Baustein im DKBM ist die Beteiligung der verschiedenen Akteur:innen der kommunalen Bildungslandschaften. Ziel ist dabei, die Steuerungsmöglichkeiten der Bildungsverwaltung zu erhöhen und die Planungsund Steuerungsprozesse stärker an den kommunalen Bedarfen auszurichten. Im Rahmen von kommunalen Bildungskonferenzen und ähnlichen Prozessen haben die Modellkommunen des DKBM dabei verschiedene Instrumente der Partizipation und Beteiligung genutzt bzw. entwickelt. „KLASSISCHE“ SEP Für Modellkommunen des DKBM wurden ab 2014 im Rahmen der Transferinitiative Begleit- und Beratungsstrukturen in Form der Transferagenturen etabliert. Die Transferagenturen unterstützen Kommunen bei den verschiedenen Kernprozessen zum Aufbau eines DKBM, wie z. B. dem Aufbau von Bildungsbüros oder den beschriebenen Weiterentwicklungsprozessen zu Datenbasierung, ressortübergreifender Koordination und der Beteiligung von lokalen Bildungsakteur:innen. Hier liegen in den begleiteten Fachabteilungen daher bereits einschlägige Erfahrungen in der Steuerung und strategischen Ausrichtung von Begleit- bzw. Beratungsprozessen vor. „MODERNE“ SEP R quantitativ / zahlenbasiert im Sinne „prognostischer Fortschreibungen“ R kontinuierliches Monitoring statt anlassbezogene „prognostische“ Fortschreibungen R Fokus: quantitative Schulstandortentwicklung im Sinne von Anpassung Schulstandorte, Zügigkeit, Klassenstärken an zu erwartende Entwicklung der Schüler:innenzahlen R Ergänzung um gleichwertige qualitative Planungen (z. B. zu Ganztag, Inklusion) R reine Fachplanung, auf Schulämter begrenzt R eher anlassbezogen alle 10 bis 15 Jahre R nicht flächendeckend, eher freiwillige kommunale Aufgabe R ganzheitliche / integrierte Planung R Beteiligung aller Bildungsakteur:innen R externe Begleitung R regelmäßig und in kürzeren Abständen (alle 5 Jahre + Monitoring in Zwischenzeit) R zunehmend landesrechtlich als kommunale Pflichtaufgabe festgeschrieben 29 Endnoten 1 Dokumentation des Großstadtnetzwerks: https://www.transferagenturgrossstaedte.de/veranstaltungen/schulentwicklungsplanung 2 Hermstein, B., Berkemeyer, N., Bos, W. & Semper, I. (2019) Schulreform und Bildungsarmut. In G. Quenzel & K. Hurrelmann (Hrsg.), Handbuch Bildungsarmut (771-798). Wiesbaden: Springer VS. 3 Hebborn, Klaus (2020) Kommunale Bildungspolitik. In: Bollweg, P., Buchna, J., Coelen, T., Otto, HU. (Hrsg.) Handbuch Ganztagsbildung (online first). Springer VS, Wiesbaden. 4 Hermstein, Björn (2019) Bildungsplanung im Bereich des allgemeinbildenden Schulwesens: Schwerpunkt Schulentwicklungsplanung. In Enzyklopädie Erziehungswissenschaft Online (Fachgebiet Bildungsorganisation, Bildungsplanung, Bildungsrecht). Weinheim: Beltz. 5 Deutscher Bildungsrat. Empfehlungen der Bildungskommission (1970). Strukturplan für das Bildungswesen. Bad Godesberg: Deutscher Bildungsrat. 6 Brüggemann, Christian, Hermstein, Björn & Nikolai, Rita (2023, i. Vorb.). Bildungskommune. Zum Wandel von Kommunalpolitik und -verwaltung im Bildungsbereich. Weinheim: Beltz. 7 Hermstein, Björn (2021) Wer spielt warum mit? Schnittstellen in der Schulsystementwicklung und Prozesse ihrer Rationalisierung. Die Deutsche Schule, 113 (1), 14-29. 8 Simon, Herbert A. (1993) Homo rationalis. Die Vernunft im menschlichen Leben. Frankfurt & New York: Campus. 9 Nida-Rümelin, Julian (1999) Demokratie als Kooperation. Frankfurt a. M.: Suhrkamp. 10 Nida-Rümelin, Julian (1999) Demokratie als Kooperation. Frankfurt a. M.: Suhrkamp. 30 11 Hermstein, Björn (2021) Kommunale Schulentwicklungsplanung im Wandel der Zeit. Dialog oder Integration von Schulentwicklungsplanung und DKBM. Online verfügbar: https://www.transferagentur-grossstaedte.de/sites/default/files/hermstein_ historie_sep_dkbm_2021-12-09.pdf, zuletzt abgerufen am: 19.08.2022 12 Bundesministerium für Bildung und Forschung (2022) Bildungschancen gestalten. Vor Ort. Für alle. Das Programm „Bildung integriert“ zur Förderung des datenbasierten kommunalen Bildungsmanagements. Online verfügbar: https:// www.transferinitiative.de/media/content/Broschuere_Bildung_integriert_ barrierefrei.pdf, zuletzt abgerufen am: 19.08.2022 13 Vgl. hierzu den Beitrag „Quo Vadis SEP und DKBM? – Kommunale Bildungsplanung im Wandel der Zeit“ auf Seiten 12-13
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