Dritter Vortrag. Die Anwendung der Deszendenztheorie auf den Menschen.
meine die Blutreaktionsuntersuchungen, die Friedenthal,
Nuttal, Uhlenhuth, Wassermann, Schütze usw. teils direkt mit
Rücksicht auf die Erforschung der Verwandtschaft des Menschen mit
den höheren Affen, teils zu andern Zwecken anstellten. Dr Frieden-
thal hat vor einigen Jahren in einer Arbeit den Satz aufgestellt :
auf Grund der Blutreaktionen stamme der Mensch nicht bloß
vom Affen ab, sondern sei selber ein echter Affe. Mit
dem Beweis verhält es sich folgendermaßen: Es war bekannt, daß,
wenn man von einer Wirbeltierart, namentlich von Säugetierarten
Blut einspritzte in die Adern anderer Arten, Krankheitserschei-
nungen auftraten infolge Zersetzung der roten Blutkörperchen der
einen Art durch das Blutserum der andern Art. Diese Erscheinung
bleibt aber aus, wenn beide Arten dem zoologischen System nach
sehr nahe verwandt sind. Nun hat sich auf Grund eingehender
Versuche herausgestellt, daß zwischen Menschenblut und dem Blut
höherer Affen die Reaktion ebenfalls recht schwach war. Daraus
schloß man, daß der Mensch und die Anthropoiden ganz unmittelbar
verwandt seien. Bei der Antiserumreaktion zeigt sich umgekehrt
die giftige Wirkung am schärfsten bei den nächstverwandten Arten,
Wir wollen einen kritischen Maßstab an diese Versuche und
Schlußfolgerungen anlegen. Die Versuche sind höchst geistreich.
Sie bringen, davon bin ich überzeugt, nicht nur der forensischen
Medizin großen Nutzen, sondern erteilen in vielen Fällen auch
interessante Aufschlüsse über die Stammesverwandtschaft der be-
treffenden Formen. Aber wir dürfen nicht schlechthin die Bluts-
verwandtschaft in dem Sinne einer Stammesverwandtschaft
verwechseln mit der chemisch-physiologischen Ähnlich-
keit zweier Blutarten. Nehmen wir an, Menschenblut und
Affenblut seien ähnlich. Dann hätten wir den Beweis, daß das Blut-
gewebe zwischen Mensch und höheren Affen auch so ähnlich ist,
wie das Skelett und die andern Organe es sind. Man darf aber
nicht aus der Ähnlichkeit des Blutes auf eine Blutsverwandtschaft
wie unter Vettern, Basen und Brüdern schließen. Das geht nicht
an. Eine interessante Arbeit über diesen Gegenstand hat neuer-
dings Rößle! veröffentlicht. Er meint, die Blutreaktion erlaube
nur den Schluß, daß das eine Tier näher mit dem andern verwandt
sei als ein drittes, aber es gehe daraus nicht hervor, wie nahe beide
Tiere unter sich verwandt sind. Also würde auch die Blutreaktion
bei Menschen und höheren Affen nicht den Schluß erlauben: Mensch
Im Biologischen Zentralblatt 1905, Nr IT u. 12.