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Erster Teil. Vorträge über das Entwicklungsproblem Dritter Vortrag (17. Febr.). Die Anwendung der Deszendenztheorie auf den Menschen

Full text: Der Kampf um das Entwicklungs-Problem in Berlin / Wasmann, Erich (Public Domain)

Dritter Vortrag. Die Anwendung der Deszendenztheorie auf den Menschen. 
mehr zu merken. Dort erscheinen ohne jene Rekapitulation gleich 
die endgültigen hakenförmigen Thorakalanhängel. 
Ich könnte Ihnen noch eine Reihe solcher Beispiele vorführen, aber 
das Gesagte dürfte genügen, um Ihnen zu zeigen, daß es wirklich Fälle 
gibt, in denen die individuelle Entwicklung uns ganz klare Finger- 
zeige liefert für die Richtung, wo die ehemaligen Stammesahnen zu 
suchen sind. Um jedoch ein derartiges Stadium erklären zu dürfen 
im Sinne einer Wiederholung eines hypothetischen Ahnenstadiums, 
muß die Erklärung eindeutig sein, d. h. jede andere Erklärung 
muß ausgeschlossen sein. Ich glaube nun aber, daß in der Onto- 
genie des Menschen kein solches Stadium sich befindet. Deshalb 
sage ich: man kann aus der individuellen Entwicklung des Men- 
schen keinen Beweis schöpfen, der für seine tierische Abstammung 
in einer Weise spricht, die naturwissenschaftlich als überzeugend 
gelten könnte. 
Eine dritte zoologische Beweisquelle, aus welcher die tierische 
Abstammung des Menschen erhärtet zu werden pflegt, sind die 
rudimentären Organe, d. h. solche Organe, die ehemals be- 
stimmten Funktionen gedient haben, später aber als nutzlos rück- 
gebildet wurden und in verkleinertem oder verändertem Zustande 
übriggeblieben sind. Nun muß man sich allgemein wohl vor Augen 
halten, daß nur allzuhäufig der Fehler gemacht worden ist, Organe, 
die man nicht erklären konnte, als «rudimentär» hinzustellen. Ge- 
trade beim Menschen hat sich wiederholt herausgestellt, daß früher 
als rudimentär bezeichnete Organe bestimmte biologisch wichtige 
Funktionen ausüben. Ich erinnere an die Schilddrüse, die Thymus- 
drüse, die Zirbeldrüse. Von letzterer ist durch Cyon nachgewiesen, 
daß sie ein wichtiges Gleichgewichtsorgan ist. Aber es gibt doch 
gewisse rudimentäre Organe, die man so nicht erklären kann, Dahin 
technet man bisher den Wurmfortsatz des Blinddarms (Processus vermit- 
formis), der so oft zur Blinddarmentzündung Anlaß gibt. Die Vor- 
fahren des Menschen, so sagt man, hätten einen viel längeren Darm 
gehabt, der Wurmfortsatz sei der Rest davon. Innerhalb der Art 
Mensch kann von dem ursprünglichen Stadium bis zur Gegenwart 
eine allmähliche Verkümmerung eines bestimmten Darmteiles ein- 
getreten sein, z. B. durch Wechsel der Nahrung. Wir wissen, daß 
die Pflanzenfresser einen viel längeren Darmkanal haben als die 
Fleischfresser. Durch Übergang von der Pflanzenkost zur Fleisch- 
‘ Vgl. Die Thorakalanhänge der Z7ermitoxentidae. Verh. d. Deutsch, Zoolog. 
Gesellsch. 1903, S. 113—120 und Taf. II u. IN); «Die moderne Biologie»? S. 300— 2302.
	        
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