Path:
Erster Teil. Vorträge über das Entwicklungsproblem Dritter Vortrag (17. Febr.). Die Anwendung der Deszendenztheorie auf den Menschen

Full text: Der Kampf um das Entwicklungs-Problem in Berlin / Wasmann, Erich (Public Domain)

Erster Teil. Vorträge über das Entwicklungsproblem. 
Gesetz mehr. Es gibt tatsächlich Fälle bei den höheren und 
den niederen Tieren, in denen sich individuelle Entwicklungsstadien 
finden, die wir nur erklären können als vorübergehende Reste eines 
ehemaligen Entwicklungsganges, der bei gewissen Vorfahren dauernd 
eingeschlagen worden war. Als Beispiel führe ich hier die Zähne an. 
welche die Embryonen der Bartenwale gegenwärtig noch besitzen. 
die später rückgebildet werden zu den sog. Barten, die das Fisch 
bein bilden. Es hat schon Geoffroy St Hilaire am Beginn 
des vorigen Jahrhunderts diese Beobachtung gemacht, und Küken 
thal hat sie bestätigt. Wenn wir damit nun die andere Tatsache 
vergleichen, daß in der Tertiärzeit geologisch die Bartenwale erst 
auf die Zahnwale folgen, daß wir letztere also als wahrscheinliche 
Vorfahren der Bartenwale anzusprechen haben, dann ist der Schluß 
sehr naheliegend: die Bartenwale stammen von ehemaligen Zahn- 
walen ab, und der Grund, weshalb heute noch in der individuellen 
Entwicklung der Bartenwale ein Stadium eintritt, wo Zähne sich 
bilden, liegt darin, weil dieses Entwicklungsstadium bei ihren 
Ahnen schon eingeschlagen wurde und bis zu einem bestimmter 
Zeitpunkt der Keimesentwicklung auch heute noch immer ein: 
geschlagen wird. 
Ein ähnlicher Fall findet sich ferner auch in der Entwicklung 
einer winzig kleinen, bei den Termiten lebenden Fliege (Termitoxenia) 
die Ihnen in den Lichtbildern des ersten Vortrages vorgeführt wurde. 
Da sehen wir die eigentümliche Erscheinung, daß in einem be 
stimmten (stenogastren) Stadium des bereits erwachsenen Insektes 
ganz kurz und vorübergehend in den noch häutigen Thorakal 
anhängen ein wirkliches Flügelgeäder auftritt. Ich wollte meinen 
Augen kaum trauen, als ich dies zum erstenmal auf meinen Schnitt 
serien beobachtete. Später verhornen diese kleinen griffelförmigen 
Thorakalanhänge und dienen als Balancierstangen, als Tast- und 
Exsudatorgane; mit Flügeln haben diese Gebilde gar keine Ährn 
lichkeit mehr. Es handelt sich hier sehr wahrscheinlich um ein 
ehemaliges Ahnenstadium zweiflügliger Insekten, das gewissermaßen 
rekapituliert wird. Ehemals wurden wirkliche Flügel aus jenen 
Rückenanhängen, heute bilden sich die Flügelanlagen zu Organen 
um, die ganz andern Zwecken dienen als die früheren Flügel. Weil 
aber diese Entwicklungsänderung nicht so weit zurückliegt, darum 
sehen wir hier heute noch ein ehemaliges Flügelstadium mit wirklicher 
Flügeladerung sich vorübergehend wiederholen, Bei einer andern 
Untergattung (Zermzitomyia), die noch weiter vom Dipterentypus 
sich entfernt hat, ist von einem derartigen Flügelstadium nichts
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.