Dritter Vortrag. Die Anwendung der Deszendenztheorie auf den Menschen.
diese Stadien stammesgeschichtlich durchgemacht hat, sondern nur
der Beweis, daß die individuelle Entwicklung von der ersten Zell-
teilung des befruchteten Eies durch verschiedene Stadien hindurch
immer weiter fortschreitet bis zur definitiven letzten Form des voll-
endeten Organismus.
Ich sage also: das biogenetische Grundgesetz kann
man in seiner Allgemeinheit nicht anerkennen, also
auch nicht in seiner Anwendung auf den Menschen als
Beweismittel für die tierische Abstammung desselben.
Da wird man mir entgegenhalten: ja, es kommen doch in der
individuellen Entwicklung des Menschen Stadien vor, die nur er-
klärlich sind als Wiederholung einer früheren Stammesentwicklung.
Das berühmteste in dieser Beziehung sind die «Kiemenbögen
und Kiemenspalten» des menschlichen Embryos. Sie sind vor-
handen in der Vier- bzw. Dreizahl bei Säugetieren und Menschen.
Dieselben Kiemenbögen und Kiemenspalten werden bei den Fischen
später zu wirklichen Kiemen und wirklichen Kiemenspalten. Sehen
wir näher zu, was bei den höheren Wirbeltieren und dem Menschen
daraus wird, so finden wir, daß aus dem ersten Kiemenbogen die
Mundhöhle wird, aus der ersten Kiemenspalte der äußere Gehör-
gang; die andern werden rückgebildet oder liefern verschiedene
andere Organe: Gehörknöchelchen usw. Wenn man dies objektiv
und ruhig betrachtet, so muß man sagen: diese sog. Kiemenbögen
und Kiemenspalten sind bei den höheren Wirbeltieren und dem
Menschen an und für sich indifferente Aus- und Einstülpungen des
Schlundrohres, die sich schließlich zu etwas ganz anderem weiter
entwickeln als zu wirklichen Kiemenbögen und Kiemenspalten, Es
Sind hier ganz einfach Schlundbögen und Schlundspalten.
Die ähnliche indifferente Anlage führt bei Fischen, die für ihr Leben
dies nötig haben, zur Bildung von wirklichen Kiemen, und
hier kann allein auch von wirklichen Kiemenbögen und Kiemen-
Spalten des Embryo die Rede sein. Einen Beweis dafür, daß des-
wegen die Säugetiere und speziell der Mensch ehemals ein Fisch-
Stadium durchgemacht haben, kann ich wahrlich darin nicht er-
blicken, er liegt auch logisch gar nicht darin.
Glauben Sie aber nicht, daß ich das biogenetische Grundgesetz
So einfachhin verwerfe. Wenn man damit nur sagen wollte, daß
es Fälle gibt, in welchen die individuelle Entwicklung eines Wesens
uns Aufschlüsse liefert über die ehemalige hypothetische Stammes-
entwicklung der Art, dann sage ich: ja, in dem Sinne erkenne ich das
biogenetische Grundgesetz an: dann ist es aber kein allgemeines