Dritter Vortrag. Die Anwendung der Deszendenztheorie auf den Menschen.
Menschlichen Leibes schon bei der Erschaffung der Materie seinen
ersten Ursprung in einem Schöpferakt Gottes hatte, bevor es nach
jahrmillionen der kosmischen Entwicklung zu einem lebendigen Bau-
Stein des ersten Menschenleibes wurde, so könnte auch eine hypo-
‘hetische Stammesgeschichte der Menschheit gedacht werden, durch
latürliche Entwicklungsgesetze geregelt, welche Gott beim Ursprung
des Lebens in die ersten Urzellen niederlegte. Auch bei dieser rein
Spekulativen Voraussetzung wäre der Mensch erst dann ganz zum
Menschen geworden, als die organisierte Materie durch natürliche
Ursachen sich so weit entwickelt hatte, daß sie von der geistigen
Menschenseele belebt werden konnte. Die Erschaffung der ersten
menschlichen Seele war der eigentliche Schöpfungsmorgen der
Menschheit, auch wenn wir annehmen würden, daß eine natür-
iche Entwicklung von Jahrmillionen diesen Schöpfungsmorgen vor-
Dereitet hätte.
Doch dies sind nur schöne Möglichkeiten, Möglichkeiten einer
kühnen Spekulation, die ich nur deshalb Ihrem Geiste hier vor-
führte, um Ihnen zu zeigen, daß, wenn die Naturwissenschaft uns
ainmal die natürliche Entwicklung des Menschen aus tierähnlichen
Vorfahren beweisen sollte, trotzdem der göttliche Ursprung
ınd das göttliche Ziel der Menschheit noch ebenso
ınbestritten bestehen bliebe wie vorher.
Kehren wir jetzt auf den trockenen, ernsten fachwissenschaft-
ichen Standpunkt zurück, den wir durch jene Spekulationen ver-
‚assen haben.
Wir kommen jetzt an die heikelste und schwierigste Frage, ge-
wissermaßen an den Stein des Anstoßes der ganzen Entwicklungs-
iehre, nämlich an die Frage: Darf man sie auch auf den
Menschen anwenden, und inwieweit? Ich bemerke vor-
ler ausdrücklich: es handelt sich nicht etwa um die Anwendung
der Darwinschen Entwicklungstheorie auf den Menschen. Dagegen
habe ich mich im letzten Vortrage schon ablehnend ausgesprochen.
Wenn man die Entwicklungstheorie auf den Menschen anwendet,
dann kann man ja auch die Grundsätze der christlichen Philosophie,
der christlichen Weltanschauung zu Grunde legen. Aber auch dann
Stehen wir wiederum vor der Frage: Können wir auf Grund der
Christlichen Weltauffassung, in welcher der Begriff der Schöpfung
Mit dem Begriff der Entwicklung verbunden ist, wo der Schöpfer
ane entwicklungsfähige Welt schuf, können wir mit einer Ent-
Wicklungslehre, die auf christlicher Basis beruht, auch die Stammes-
>twicklung des Menschen vereinigen oder nicht?
Wasmann, Entwicklungsproblem.