Erster Teil. Vorträge über das Entwicklungsproblem,
Über die sog. darwinistische Weltanschauung brauche
ich weiter kein Wort zu verlieren, weil sie identisch ist mit jener
realistisch-monistischen Weltauffassung, auf welche ich bereits im
ersten Teile des heutigen Vortrages näher eingegangen bin. Was
endlich die Anwendung der Darwinschen Selektionstheorie auf den
Menschen angeht, so genüge hier die Bemerkung, daß sie den
Menschen allzusehr als bloßes Tier auffaßt und deshalb unhaltbar
ist; im übrigen wird die Anwendung der Entwicklungstheorie auf
den Menschen Gegenstand meines dritten Vortrages am nächsten
Sonntag sein.
Ich fasse im folgenden kurz das Resultat der Untersuchung
über die naturwissenschaftliche Bedeutung des Darwinismus zu-
sammen:
Die Selektionstheorie Darwins ist als Hilfsfaktor auch heute
noch in der Entwicklungstheorie unentbehrlich; ihre Bedeutung ist
aber eine untergeordnete, und zwar eine sehr verschiedene, je nach
den Erscheinungsgebieten, um die es sich handelt. Nur ein Bei-
spiel dafür: Bei den Ameisen- und Termitengästen haben wir gestern
den Trutztypus gesehen, der auf Unangreifbarkeit berechnet ist, den
Mimikrytypus, der auf Täuschung der Wirte durch die Gäste aus-
geht, und drittens sahen wir den Typus der echten Gäste. Für
diese drei Typen gilt die Selektionstheorie in ganz verschiedener
Weise. Am meisten Bedeutung hat sie bei dem Trutztypus, eine
schon etwas geringere beim Mimikrytypus und die geringste beim
Typus der echten Gäste (Symphilentypus). Hier finden wir als
Hauptfaktor die Amikalselektion!, welche von der Naturzüch-
tung nicht bloß verschieden ist, sondern von einer bestimmten Ent-
wicklungsstufe an sogar ihr entgegenwirkt und sie besiegt. Ein
Beispiel wird dies zeigen. Die blutrote Raubameise erzieht in ihrem
echten Gast Lomechusa ihren schlimmsten Feind vermöge eines
Instinktes, der zum Verderben ihrer eigenen Art gereicht. Wir
sehen hier eine Instinktausbildung, die durch Naturzüchtung un-
möglich entstanden sein kann; denn der Gast ist schädlich von
dem Augenblick an, wo er seine Larve in dem Ameisennest er-
ziehen läßt. Ich glaube deshalb, in diesem Falle hat die Amikal-
selektion den Sieg über die Naturzüchtung davongetragen, bin aber
weit davon entfernt, auf allen andern Gebieten die Selektionstheorie
für ebenso schwach zu erklären. Man kann viele Beispiele bringen
zu Gunsten dieser Theorie; sie kommt aber nur dort zur Geltung,
Vel. «Die moderne Biologie»? S. 338 345 384.