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Erster Teil. Vorträge über das Entwicklungsproblem Zweiter Vortrag (14. Febr.). Theistische und atheistische Entwicklungslehre. Entwicklungslehre und Darwinismus

Full text: Der Kampf um das Entwicklungs-Problem in Berlin / Wasmann, Erich (Public Domain)

Zweiter Vortrag. Theistische und atheistische Entwicklungslehre, 
nismus beleben, kurzum, die Zielstrebigkeit des Lebensprozesses 
von innen heraus bewirken. Dieses Postulat ist durchaus vernünftig ; 
ich persönlich kann ohne dasselbe nicht auskommen und würde ohne 
dasselbe auch dann nicht auskommen können, wenn es gar keine 
Theologie gäbe. 
6. Nun kommt ein weiteres Postulat der christlichen Weltauf- 
fassung. Es ist dasjenige, gegen welches heutzutage von moni- 
Stischer Seite am meisten Protest erhoben wird, nämlich die An- 
nahme einer geistigen, unsterblichen Seele des Menschen. 
Daß auch die Tiere nicht bloß Maschinen sind, hat ja längst schon 
die christliche Philosophie ausgesprochen. Ja es ist sogar vorge- 
kommen, daß, als einige moderne Physiologen die Ameisen und 
andere wirbellose Tiere als Reflexmaschinen ansprachen, Vertreter 
der christlichen Philosophie diese Auffassung auf Grund der bio- 
logischen Tatsachen als unhaltbar nachwiesen!. Ohne Annahme eines 
Sogenannten Seelenlebens der Tiere kommen wir nicht durch. Aber 
wie weit geht es? Es geht nur so weit, wie die sinnliche Sphäre 
reicht. Die sinnliche Wahrnehmung, die Verbindung dieser Wahr- 
nehmungen untereinander, das Gedächtnis, die Modifikation früherer 
Tätigkeiten infolge sinnlicher Erfahrung, das ist im wesentlichen die 
ganze tierische Seelentätigkeit nach der Erkenntnisseite hin. Durch 
Sie werden die angeborenen Triebe des Tieres in Bewegung gesetzt 
und in zweckmäßiger Weise zu den Lebensverrichtungen angeleitet. 
Das ist offenbar keine Maschine mehr, aber auch kein Geistesleben. 
Man kann wohl sagen: in dem Begriff Geistesleben ist 
namentlich durch Büchner und Brehm und andere Koryphäen 
der «Vulgärpsychologie» heutzutage sehr viel Verwirrung angestiftet, 
Sämtliche sinnlichen Wahrnehmungen werden als Geistesleben be- 
zeichnet, obwohl sie noch keines sind. Geistesleben im Sinne der 
alten Philosophie ist nur jene Seelentätigkeit, die wir als die höhere 
bezeichnen: das Denken und Wollen des Menschen. Das Eigen- 
tümliche beim menschlichen Denken ist, daß der Mensch Begriffe 
bilden, allgemeine Schlüsse daraus ziehen und durch seine Vernunft 
Sich erheben kann über alle Einzelerscheinungen; darauf beruhen 
Kunst, Wissenschaft, Religion des Menschen, die im Tierreich sich 
Nicht finden trotz mancher kleinen Analogien. die aufgebauscht 
‘ Albrecht Bethe, Dürfen wir den Ameisen und Bienen psychische Quali- 
:äten zuschreiben? Bonn 1898. E. Wasmann, Die psychischen Fähigkeiten der 
Ameisen, Stuttgart 1899. — Näheres über meine Kontroverse mit Bethe siehe in der 
3. Auflage meines Buches «Instinkt und Intelligenz im Tierreich», Freiburg i. Br. 1905, 
8. Kap., S. 157 ff.
	        
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