Zweiter Vortrag. Theistische und atheistische Entwicklungslehre,
nismus beleben, kurzum, die Zielstrebigkeit des Lebensprozesses
von innen heraus bewirken. Dieses Postulat ist durchaus vernünftig ;
ich persönlich kann ohne dasselbe nicht auskommen und würde ohne
dasselbe auch dann nicht auskommen können, wenn es gar keine
Theologie gäbe.
6. Nun kommt ein weiteres Postulat der christlichen Weltauf-
fassung. Es ist dasjenige, gegen welches heutzutage von moni-
Stischer Seite am meisten Protest erhoben wird, nämlich die An-
nahme einer geistigen, unsterblichen Seele des Menschen.
Daß auch die Tiere nicht bloß Maschinen sind, hat ja längst schon
die christliche Philosophie ausgesprochen. Ja es ist sogar vorge-
kommen, daß, als einige moderne Physiologen die Ameisen und
andere wirbellose Tiere als Reflexmaschinen ansprachen, Vertreter
der christlichen Philosophie diese Auffassung auf Grund der bio-
logischen Tatsachen als unhaltbar nachwiesen!. Ohne Annahme eines
Sogenannten Seelenlebens der Tiere kommen wir nicht durch. Aber
wie weit geht es? Es geht nur so weit, wie die sinnliche Sphäre
reicht. Die sinnliche Wahrnehmung, die Verbindung dieser Wahr-
nehmungen untereinander, das Gedächtnis, die Modifikation früherer
Tätigkeiten infolge sinnlicher Erfahrung, das ist im wesentlichen die
ganze tierische Seelentätigkeit nach der Erkenntnisseite hin. Durch
Sie werden die angeborenen Triebe des Tieres in Bewegung gesetzt
und in zweckmäßiger Weise zu den Lebensverrichtungen angeleitet.
Das ist offenbar keine Maschine mehr, aber auch kein Geistesleben.
Man kann wohl sagen: in dem Begriff Geistesleben ist
namentlich durch Büchner und Brehm und andere Koryphäen
der «Vulgärpsychologie» heutzutage sehr viel Verwirrung angestiftet,
Sämtliche sinnlichen Wahrnehmungen werden als Geistesleben be-
zeichnet, obwohl sie noch keines sind. Geistesleben im Sinne der
alten Philosophie ist nur jene Seelentätigkeit, die wir als die höhere
bezeichnen: das Denken und Wollen des Menschen. Das Eigen-
tümliche beim menschlichen Denken ist, daß der Mensch Begriffe
bilden, allgemeine Schlüsse daraus ziehen und durch seine Vernunft
Sich erheben kann über alle Einzelerscheinungen; darauf beruhen
Kunst, Wissenschaft, Religion des Menschen, die im Tierreich sich
Nicht finden trotz mancher kleinen Analogien. die aufgebauscht
‘ Albrecht Bethe, Dürfen wir den Ameisen und Bienen psychische Quali-
:äten zuschreiben? Bonn 1898. E. Wasmann, Die psychischen Fähigkeiten der
Ameisen, Stuttgart 1899. — Näheres über meine Kontroverse mit Bethe siehe in der
3. Auflage meines Buches «Instinkt und Intelligenz im Tierreich», Freiburg i. Br. 1905,
8. Kap., S. 157 ff.