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Erster Teil. Vorträge über das Entwicklungsproblem Erster Vortrag (13. Febr.). Die Entwicklungslehre als naturwissenschaftliche Hypothese und Theorie

Full text: Der Kampf um das Entwicklungs-Problem in Berlin / Wasmann, Erich (Public Domain)

Erster Teil, Vorträge über das Entwicklungsproblem. 
Ich für meine Person bin der festen Überzeugung, daß die Ent- 
wicklungslehre, als naturwissenschaftliche Hypothese und 
Theorie betrachtet, keinerlei Widerspruch mit der 
christlichen Weltanschauung enthält, mag auch das Gegen- 
teil noch so oft behauptet werden. 
Wir erwähnten soeben die natürlichen Arten, welche gleich- 
bedeutend sind mit den Entwicklungsreihen oder Stammbäumen der 
Abstammungstheorie 1. Wie viele oder wie wenige solcher Stammes- 
reihen anzunehmen sind, das weiß uns heute noch kein Fachmann 
zu sagen. Nach 2000 Jahren werden wir es vielleicht etwas besser 
wissen. Ebensowenig kennen wir die hypothetischen Stammformen, 
von denen jene Entwicklungsreihen ihren Ausgang nahmen. Auch 
über die Gesetze ihrer Entwicklung sind wir noch ganz im dunkeln. 
Das sind biologische Probleme, an denen die kommenden 
Jahrhunderte weiter forschen müssen. 
Ich komme nun zum Schlusse. Wenn wir Gott als Schöpfer 
aller Dinge auffassen und annehmen, daß die von ihm geschaffene 
Welt sich selbständig und ‚selbsttätig entwickelt habe, so haben wir 
sogar eine größere Idee von Gott, als wenn wir ihn überall in die 
Naturgesetze eingreifen lassen. Denken wir uns zwei Billardspieler, 
die hundert Bälle zu dirigieren haben. Der eine braucht dazu hundert 
Stöße, der andere vermag mit einem Stoß alle Bälle zu leiten, wie 
er will; der letztere ist doch zweifellos der bei weitem geschicktere. 
Schon Thomas von Aquin hat ausgeführt, die Macht einer Ursache 
sei um so größer, auf je entferntere Wirkungen sie sich mittelbar 
erstreckt. Gott greift nicht unmittelbar in die Naturordnung ein, 
wo er durch natürliche Ursachen wirken kann. — Dies ist der keines- 
wegs neue, sondern sehr alte Grundsatz, der uns die Entwicklungs- 
theorie als naturwissenschaftliche Hypothese und Theorie, soweit sie 
wirklich beweisbar ist, mit der christlichen Weltanschauung ganz 
und vollkommen vereinbar erscheinen läßt. Nach dieser Auf- 
fassung wird die Entwicklung der organischen Welt gleichsam zu 
einer kleinen Zeile in dem millionenseitigen Buch der Entwicklung 
des ganzen Kosmos, auf dessen Titelblatt auch heute noch mit 
unauslöschlichen Lettern geschrieben steht: «Im Anfang schuf 
Gott Himmel und Erde» 
1 Nähere Ausführungen siehe in «Die moderne Biologie»? S. 303 ff. Die dort schon 
widerlegten Mißverständnisse wiederholten sich in der Rede des Hauptopponenten 
Prof. Plate am Diskussionsabend.
	        
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