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Zweiter Teil. Diskussionsabend (18. Febr.) Rede des achten Opponenten, Herrn Dr. Juliusburger

Full text: Der Kampf um das Entwicklungs-Problem in Berlin / Wasmann, Erich (Public Domain)

Erster Vortrag. Die Entwicklungslehre als naturwissenschaftliche Theorie. 
und innerhalb dieser Minute ist noch so eine kleine Sekunde, die 
nach der Schätzung der Geologen allerdings Millionen von Jahren 
umfaßt hat. Das ist die Geschichte der organischen Welt auf unserer 
Erde bis zum Auftreten des Menschen. Durch die Fortschritte der 
Zoologie und Botanik und namentlich durch die Fortschritte der 
Paläontologie ist die Wissenschaft immer näher an die Frage heran- 
gedrängt worden: wie steht es mit den Beziehungen der gegenwärtig 
lebenden Tiere und Pflanzen zu den ausgestorbenen, fossilen Formen? 
Haben wir die gegenwärtige Tier- und Pflanzenwelt als etwas Un- 
veränderliches zu betrachten? oder sind die heutigen Tiere und 
Pflanzen veränderte Nachkommen von früheren, großenteils 
ausgestorbenen Vorfahren, die uns, zum Teil wenigstens, als Fossilien 
aufbewahrt sind? 
Auf diese Fragen sind zweierlei Antworten gegeben worden. 
Die eine Antwort kommt von der Konstanztheorie (Beharrungs- 
theorie), die sagt: die systematischen Arten !, wie sie heute in der 
Zoologie und Botanik vorliegen, sind unveränderliche Größen. Die 
Tatsachen bieten uns keine Beweise, daß Veränderungen der Arten 
über die Artgrenzen hinausgehen; wir dürfen deshalb von keiner 
Entwicklung der Arten auseinander, von keiner Stammesverwandt 
Schaft der Arten untereinander oder mit früher lebenden Arten 
Sprechen. Die Entwicklungstheorie dagegen sagt: wir müssen 
die heutige Fauna und Flora, die heutige Tier- und Pflanzenwelt, 
als das Endprodukt einer vorausgegangenen Entwick- 
lung auffassen, gewissermaßen als die Endfunktion einer langen 
Differential- und Integralrechnung der Natur. Das ist also die Frage- 
stellung: hat eine Stammesentwicklung der organischen 
Arten stattgefunden oder nicht? 
Sie ersehen bereits hieraus, daß es völlig falsch wäre zu sagen, 
diese Entwicklungstheorie sei eine Ausgeburt des Atheismus. Nein, 
die Frage: besteht ein wahrscheinlicher stammesgeschichtlicher Zu- 
1 Daß die Konstanztheorie in ihrer historischen Gestalt die Unveränderlichkeit 
der systematischen Arten annimmt, ist jedem bekannt, der die Geschichte der 
modernen Zoologie und Botanik kennt (siehe hierüber «Die moderne Biologie» 3 5, 261 
303 315 etc.). Als Beispiele systematischer Arten nenne ich Löwe, Tiger, Jaguar 
usw, innerhalb der Gattung Felis (Katze), Die Merkmale, durch welche die syste- 
Matischen Arten sich unterscheiden, sind «wesentliche Merkmale» nur im empirischen, 
Nicht im philosophischen Sinne, Deshalb führten einige Philosophen später den 
Begriff der «natürlichen Arten» ein, welche mehr oder minder große Gruppen syste- 
Matischer Arten umfassen, Diese Konstanztheorie ist jedoch, mit der historischen 
Theorie von der Konstanz der systematischen Arten verglichen, bereits eine ge- 
näßigte Entwicklungstheorie (vgl. ebd. S. 2904).
	        
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