Erster Vortrag (13. Febr.).
Die Entwicklungslehre als naturwissenschaftliche
Hypothese und Theorie,
Hochansehnliche Versammlung!
Es ist wirklich kein leeres Wort gewesen, als man in dem Pro-
spekt der Vorträge schrieb, daß in Berlin ein großes Interesse herrscht
{ür das Entwicklungsproblem. Dies bestätigt mir ja schon der An-
dlick meiner glänzenden Zuhörerschaft. Dieses Interesse ist aber
auch berechtigt. Die Frage: was‘ haben wir von der Ent-
wicklungstheorie zu halten? steht ja tatsächlich im Vorder-
grund der allgemeinen Aufmerksamkeit. So einstimmig aber auch
das Interesse ist, das an dieser Frage genommen wird, so verschieden-
artig, ja geradezu widersprechend sind die Antworten, die man
vielfach vernimmt. Von der einen Seite hört man: die Entwicklungs-
‘heorie ist eine naturwissenschaftlich schwach begründete Hypothese;
Tatsachen sind keine dafür da, und in ihrem weiteren Ausbau ist
3le eine Ausgeburt des Atheismus, der die christliche Weltanschauung
über Bord werfen will. Von der andern Seite dagegen sagt man:
die Entwicklungstheorie ist auf naturwissenschaftliche Tatsachen hin-
reichend fest begründet; sie ist eine in sich bereits so weit ausgebildete
Theorie, daß sie auf Anerkennung Anspruch erheben kann — von
jedem Biologen, mag er in religiöser Beziehung auf einem Standpunkt
stehen, auf welchem er will, Von einer dritten Seite endlich heißt
as: die Entwicklungstheorie ist der christlichen Weltanschauung doch
"eindlich; sie ist, wie Haeckel gesagt hat, «die Hauptwaffe in der
schweren monistischen Artillerie gegen das Christentum».
Wer nun hat eigentlich recht? Eigentlich, glaube. ich, haben alle
an bißchen recht und ein bißchen unrecht. Es handelt sich vor
allem darum, die Begriffe klar zu unterscheiden. Klarheit ist
.Mmer die Mutter der Wahrheit, und wer Wahrheit will, muß
vor allem Klarheit wollen. Deswegen möchte ich als das Ziel
dieser Vorträge aussprechen: möglichst klar auseinanderzusetzen,
welche verschiedene Begriffe wir in dem Worte Entwicklungstheorie